Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Kategorie: Sexarbeiter-Welt (Seite 3 von 7)

Gedanken zum Thema Sexarbeit in Gesesllschaft und Politik

Flüchtlinge und Zwangsprostitution

Bei den Flüchtlingen aus der Ukraine handelt es sich, im Gegensatz zur Flüchtlingswelle 2015, überwiegend um Frauen und Kinder. Vielen wird von Privatpersonen Hilfe angeboten, in Form von privaten Unterkünften, Hilfestellung bei Wohnungssuche, Anträgen, Kleidung und Gebrauchsgegenstände, etc. Die überwiegende Anzahl dieser Hilfsangebote ist zweifelsohne selbstlos, einfach ausgelöst durch das Leid direkt vor unserer Haustür.

In der letzten Woche gibt es aber auch Stimmen von Flüchtlingsorganisationen und -helfern, die geflüchtete Frauen zu mehr Vorsicht mahnen. Leider gibt es durchaus auch Menschen, die die Notlage dieser Frauen ausnutzen, um „Gefälligkeiten“ zu erzwingen oder Abhängigkeiten herzustellen. In diesem Zusammenhang steht auch schnell das Wort „Zwangsprostitution“ im Raum.

Für mich ist Zwangsprostitution ein schwieriges Thema. Ich möchte nicht abstreiten, dass es Zwangsprostitution in Deutschland gibt, sowohl in Form von Menschenhandel als auch (viel häufiger) in Form von Ausnutzung von Notlagen und Abhängigkeiten. Andererseits stellen viele Prostitutonsgegner es so hin, als wäre jede Form von Prostitution Zwangsprostitution oder zumindest sehr massiven wirtschaftlichen Zwängen geschuldet. Damit bringen sie mich und jede andere Frau, die dieser Tätigkeit freiwillig nachgeht, in die Position, höchst private und intime Entscheidungen und Geschichten darlegen und rechtfertigen zu müssen. Die Steigerung davon ist es, nicht nur diese Geschichten zu verdrehen, sondern auch die psychische Gesundheit und Entscheidungsfähigkeit von Frauen in der Prostitution in Frage zu stellen.

Ziemlich weit oben auf meinem SUB (Stapel ungelesener Bücher) liegt das Buch „Entmenschlicht“ von Huschke Mau, einer der führenden Prostitutionsgegnerinnen in Deutschland und Verfechterin des „Nordischen Models“. Sie vertritt ziemlich genau die gerade beschriebenen Auffassungen. Im Zusammenhang mit ihrer Geschichte kann ich das nachvollziehen und schätze durchaus auch viele ihrer Texte. Trotzdem finde ich ihren eingleisigen Blick und ihre Kompromisslosigkeit falsch. (Rezession des Buches folgt, sobald ich es gelesen habe.)

Zwangsprostitution und Sexarbeit (als Oberbegriff für freiwillige Prostitution in all ihren unterschiedlichen Aspekten) sind für mich zwei völlig unterschiedliche Dinge – so wie vielleicht der Unterschied zwischen Sklaverei und Lohnarbeit. Das eine gehört zu Recht bekämpft, das andere hat eine Funktion in der Gesellschaft.

Ungewollte Werbung

Ein großes Problem als Sexarbeiterin ist, dass man sehr schnell die Kontrolle verliert, was im Internet mit Daten, Bildern etc geschieht. Ich habe schon mal über Berichte in Freierforen gelesen, die häufig grenzüberschreitend sind und im Schutz von Anonymität intime Details ausplaudern. Noch schlechtere Erfahrungen habe ich jedoch mit Werbeportalen gemacht.

Ich achte schon seit langer Zeit sehr genau darauf, auf welchen Seiten ich Anzeigen schalte, und lösche Anzeigen auch wieder, wenn die Seite oder die Reaktionen, die ich bekomme, nicht (mehr) zu meinem Stil passen. Das funktioniert aber nur, wenn ich auch weiß, wo diese Anzeigen stehen.

Leider ist es gerade bei neuen Seiten üblich, einfach die Daten und Fotos von anderen Seiten zu kopieren – meist ohne Wissen der Anbieterinnen. Eine Kollegin von mir ist damit mal in ernsthafte Schwierigkeiten gekommen, da sie mit einer Seite eine Exklusivvereinbarung hatte, die ihr dann wegen so einem Verhalten einer anderen Seite gekündigt wurde.

Häufig sind die übernommenen Daten veraltet. Kunden erreichen die Anbieterin dann überhaupt nicht mehr, oder aber sie verlassen sich auf Angaben (z.B. zu Service oder Preisen), die nicht mehr aktuell sind. Das führt auf beiden Seiten zu Irritationen, Mißverständnissen und Ärger.

Tip für Kunden: Wenn Ihr eine Seite mit Anzeigen besucht, achtet darauf, ob ein Datum angegeben ist, wann die Anzeige geschaltet wurde, wann die Anbieterin das letzte Mal online war etc. Schaut lieber nach einer Telefonnummer und verlasst Euch nicht auf ein seiteninternes Nachrichtensystem, diese Nachrichten laufen häufig ins Leere.

Ich verlasse mich in den letzten Jahren überwiegend auf kaufmich, und selbst dort gab es jetzt einen Zwischenfall: Ich fand mich in einem Magazin-Artikel mit dem Thema „10 Dominas aus Hamburg“ wieder. Eigentlich sollte ich mich über die Extra-Werbung freuen. Es ist aber so, dass ich mich selber nie als Domina bezeichnet habe, da ich keine natürliche Dominanz besitze. Außerdem habe ich kein Studio mehr zur Verfügung und spiele daher nur noch in Ausnahmefällen in diesem Bereich.

Positiv ist, dass ich kaufmich angeschrieben habe und sie sich sofort entschuldigt haben. Das habe ich schon anders erlebt; häufig bekomme ich auf solche Mails gar keine Antwort und es wird auch nichts geändert.

Die negativsten Erfahrungen bisher habe ich bei markt.de gemacht. Ich habe dort nie selber eine Anzeige geschaltet, da ich die Seite zu unübersichtlich finde. Ich bekam aber durchaus schon Anrufe, die sich auf eine Anzeige auf markt.de mit meiner Nummer bezogen – mit völlig falschen Angaben zu Service, Preisen etc.

An dieser Stelle könnte die Rotlicht-Szene deutlich mehr Seriosität gebrauchen!


Ein ähnlicher Text von mir ist „Werbeportale“ vom 24.10.21

Privatwohnung vs Appartement

Ich habe in meiner Zeit als Sexarbeiterin schon in einigen Umgebungen gearbeitet. Angefangen habe ich als Escort und in Clubs; dort gab es einen festen Rahmen von Regeln und viel Unterstützung. Als ich dem Rotlicht den Rücken kehren wollte, habe ich in einer eigenen Wohnung Tantra-Massagen gegeben. Irgendwann bin ich aus privaten Gründen in ein Appartement gewechselt, wo ich mich dann nach und nach wieder mehr der klassischen Prostitution und auch dem Bizzar-Bereich zugewandt habe.

In meinem letzten Appartement war ich über vier Jahre und habe mich dort sehr wohl gefühlt. Der Nachteil eines Appartements sind die hohen Kosten, die es verursacht. Die Miete und andere Kosten lohnen sich nur, wenn man wirklich 5-6 Tage die Woche konsequent in Vollzeit oder mehr arbeitet. Dafür gibt es dort viele Möglichkeiten: neben meinem Zimmer hatte ich ein voll ausgestattetes Studio zur Verfügung und konnte auch immer wieder mit Kolleginnen zusammenarbeiten. Außerdem ist es eine sichere Umgebung.

Schon kurz vor dem ersten Corona-Lockdown habe ich darüber nachgedacht, mein Appartement-Zimmer aufzugeben. Ich wollte nicht mehr Vollzeit Sexarbeit machen, sondern hatte ein Angebot für einen Teilzeit-Job und wollte andere Bereiche meiner Selbständigkeit wieder mehr ausbauen. Dann kam der Lockdown und das Appartement war für lange Zeit geschlossen. Als wir im Oktober 2020 kurz wieder arbeiten durften, war mir die gesamte Situation zu unsicher, um zurück ins Appartement zu gehen.

Seit dem Ende des Lockdowns im letzten Sommer treffe ich meine Kunden in einer privaten Wohnung. Ein wenig fühlt es sich an als würde ich zu Tantramassage-Zeiten zurückkehren; genauso habe ich auch den Raum eingerichtet, und dieses Gefühl zieht sich durch die meisten meiner Termine. Meine Termine sind persönlicher geworden, geprägt von Nähe und Zärtlichkeit.

Gleichzeitig gibt es aber auch Einschränkungen: Mein Service ist eingeschränkter; den Bizzar-Bereich habe ich fast ganz hinter mir gelassen und konzentriere mich auf Massagen und Girlfriendsex. Ich arbeite nicht mehr so spontan wie früher, da ich den Raum auch anders nutze und viel mehr Zeit für Vorbereitungen brauche. Auch die Terminvereinbarung ist aufwendiger geworden, da ich verschiedene Vorsichtsmaßnahmen ergreife, um mich sicherer zu fühlen mit neuen Kunden. Es ist halt keine Kollegin mehr im Nebenzimmer, die mir im Notfall helfen könnte.

Schon im Appartement war ich sehr frei in dem, wie ich meine Termine gestaltet habe – zeitlich, finanziell, inhaltlich. Trotzdem hat die Umgebung und die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen mein Angebot beeinflusst. Jetzt fühle ich mich ganz frei in dem was ich tue – der Einrichtung des Raumes, dem zeitlichen Rahmen von Terminen, den Umgang mit meinen Kunden. Die Umgebung ist ruhiger, hygienischer und rauchfrei, was ich als angenehm empfinde.

Manchmal sehne ich mich nach dem Zauber des Rotlichts, der besonderen Atmosphäre in einem Bordellbetrieb. Dabei vergesse ich in meiner Nostalgie, wie hart es manchmal war, und wie viel mehr Rücksicht auf mich selbst ich jetzt nehmen kann.

Lusthaus-Forum

Freier-Foren im Internet haben einen extrem schlechten Ruf. Viele Prostitutonsgegner nutzen den rauen Ton solcher Foren, um für ein Verbot von Prostitution zu werben. Sie betrachten diese als frauenverachtend und untermauern das mit den abwertenden Beiträgen in solchen Foren.

Auch über mich gab es schon Beiträge, die mich alles andere als erfreut haben, und so habe ich es in den letzten Jahren vermieden, meinen Namen zu googeln oder solche Seiten zu besuchen. Vor ein paar Tagen siegte jedoch meine Neugier; angeregt durch einen Verweis aus dem Anti-Prostitutions-Lager habe ich das Lusthaus-Forum aufgerufen, um mir anzusehen, wie schlimm es denn wirklich ist.

Ich war überrascht – ich fand es nicht so schlimm. Ich habe eine handvoll Berichte über einige Frauen gelesen. Einige waren sehr positiv, andere sachlich, in einigen wurden Warnungen ausgesprochen, dass bestimmte Frauen keinen ehrlichen Service bieten würden. Der Ton war sachlich, und abgesehen von dem unschönen Begriff AZF (nein, das schreibe ich hier nicht aus, um es zu erklären) habe ich nichts gefunden, was ich als unfair oder unter der Gürtellinie betrachtet hätte. Im Gegenteil, viele Berichte waren durch ihre Ausführlichkeit sachlicher, als ich es sonst von Bewertungen im Internet gewohnt bin.

Die Seite hat sich auf die Fahne geschrieben, dass sie nichts zensiert. Demnach gibt es dort viel Pornografie in Wort und Bild – und Diskussionen über AO. Ich war erstaunt darüber, dass es dafür wohl doch eine nicht ganz kleine Szene gibt, sowohl mit Kunden die das nachfragen bzw erwarten als auch von Frauen die das anbieten (inklusive oder als Extra-Service). Ich war immer nur in Häusern unterwegs, in denen das ein absolutes Tabu war. (Seit dem Prostitutionsschutzgesetz von 2017 ist es darüber hinaus illegal.) Ja, es sind alles erwachsene Menschen, die selber wissen müssen, welche Risiken sie eingehen wollen – aber ich werde da auch in Zukunft einen großen Bogen drum machen, und schon die Frage danach bringt jemanden auf meine „Schwarze Liste“.

Insgesamt gilt für dieses Forum dasselbe wie für die meisten Werbeportale für Sexarbeiterinnen: Ich fühle mich dort nicht mehr richtig zugehörig. Meine Arbeit lässt sich nicht (mehr) in die Standards der Szene pressen, und darüber bin ich froh – auch wenn es das Marketing schwierig macht.


Generelle Gedanken zum Thema Bewertungen und Berichte findest Du in meinem Beitrag vom 21.10.21:

http://blog.traumfrau-mit-nebenwirkungen.com/gedanken/bewertungen-und-berichte/

Berührung, Nähe, Sexualität

In den letzten Jahrzehnten setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Berührung und Nähe menschliche Grundbedürfnisse sind, deren Fehlen zu ernsthaften psychischen und physischen Problemen führen kann. Im Gegensatz dazu leben immer mehr Menschen alleine, evtl mit einem Freundeskreis, häufig aber auch ziemlich einsam – und vor allem ohne Berührungen. Aus dieser Situation heraus sind eine ganze Reihe von Angeboten entstanden im Bereich Massagen und Körper- und Psychotherapie, neuerdings gibt es sogar professionelles Kuscheln.

Sexualität wird jedoch immer noch ausgeschlossen. Es gilt als Zeichen von Seriosität, dass eine Anbieterin ihre Dienstleistungen deutlich vom Bereich der Prostitution abgrenzt, und jeder Ausflug über diese Grenze kann für sie ernsthafte Konsequenzen haben. Da greifen veraltete Moralvorstellungen – Sex ist bäh, das kann gar nicht seriös sein. Aber auch Sexualität ist ein Grundbedürfnis – man kann zwar ohne Sex leben, aber jeder Mensch braucht irgendeine Form von Körperlichkeit und Sinnlichkeit in seinem Leben.

Es nervt mich, dass diese Grenzen immer so konsequent gezogen werden. Für mich persönlich führt das dazu, dass ich mich keiner Gruppe so richtig zugehörig fühle. Bei den Masseurinnen und Körpertherapeutinnen gehöre ich nicht dazu, weil ich halt mit Sexualität und Sinnlichkeit arbeite. Als klassische Prostituierte sehe ich mich aber auch nicht, diese Frauen haben häufig einen völlig anderen Umgang mit ihrer Arbeit und ihren Kunden, als ich es habe. Eine Zeit lang dachte ich, Tantra-Massagen wären die Lösung. Aber davon habe ich mich vor einigen Jahren aus verschiedenen Gründen zurückgezogen, und auch die Aktivitäten, die sich in den letzten Jahren rund um den Tantramassage-Verband entwickeln, betrachte ich eher mit Argwohn.

Es gibt durchaus auch Stimmen, die für einen seröseren Umgang mit dem Thema Sexarbeit stehen, und wunderbare Sexarbeiterinnen, die ihre Arbeit nach Außen vertreten (vor allen Dingen rund um den Berufsverband Sexarbeit). Dem Gegenüber stehen die alten Strukturen von Laufhäusern & Co – die offensichtlich immer noch ihre Berechtigung haben. Gerade in der momentanen Zeit zeigt sich, wie sehr wir alle nach Strukturen und Schubladen suchen – und nicht bereit sind, Individualität und Vielfalt anzuerkennen, uns damit auseinanderzusetzen, Dinge auch einfach mal stehen zu lassen…

Grenzen und Urteile

Letzte Woche gab es in Düsseldorf ein Gerichtsurteil, bei dem die Klage einer Tantra-Masseurin, sich nicht nach Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG) registrieren zu müssen, abgelehnt wurde. Es gab in den letzten Jahren mehrere Vorstöße des Tantramassageverbandes in diese Richtung; immer wieder wird versucht, Tantra-Massagen als therapeutische Massagen hinzustellen und deutlich von der Prostitution abzugrenzen.

Meine Erfahrungen mit Tantra-Massagen zu schildern und die daraus resultierende Meinung zu dem Thema würde den Rahmen dieses Textes sprengen, und gerade geht es mir um etwas anderes. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Branche wird viel darüber diskutiert, was genau Prostitution/ Sexarbeit beinhaltet und wo die Grenzen liegen. Auch versuchen einige Menschen, so etwas wie eine Hierarchie zu etablieren und Grenzen zu ziehen: Tantra-Massagen sind gut, Sex ist schlecht; Escort ist gut, Straßenstrich ist schlecht; selbstbestimmt ist gut, mit Anleitung ist schlecht; und so weiter.

In den letzten Jahren gibt es zum Glück auch immer wieder Stimmen, die sich gegen diese Abgrenzungen stellen und versuchen, sich allgemein für die Anerkennung von Sexarbeit in allen Bereichen einzusetzen (besonders fällt mir dazu der Berufsverband Sexarbeit ein). Für viele Anbieterinnen ist es schwierig, ihr Selbstbild klar rüberzubringen und nicht verurteilt zu werden. Auch Kunden gegenüber herrscht gesellschaftlich ein hohes Maß an Verurteilung und Ausgrenzung.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass es diese Grenzen wirklich gibt bzw das eine solche Abgrenzung gelingen kann. Jede Anbieterin und jeder Kunde definieren ihre Anforderungen und Inhalte in diesem Bereich selbst, und häufig ist es ein ständiges neu austarieren und ausprobieren. Ich finde es viel wichtiger, darüber ins Gespräch zu kommen und Standards zu entwickeln, die sich auf Fairness, Sicherheit und Toleranz beziehen, statt zu versuchen, ganze Bereiche zu verdrängen und negieren.

Fairtrade im Bordell

Als Reaktion auf meine Gedanken zu Blauen Flecken bei Sexarbeiterinnen und die Aufmerksamkeit von Kunden (siehe Blog „Peinliche Erklärungen“), schickte mir ein Kunde die Frage/ Denkanregung: „Ist ein ‚fairtrade‘ Prozess für Sexarbeit denkbar? Wenn ja, wie würde dieser aussehen? Wäre so ein ‚fairtrade‘ Prozess/ Label glaubwürdig?“ – als Gesprächsgrundlage bzw mit der Bitte um Stellungnahme. Hier also meine Gedanken dazu:

Ich lege ‚fairtrade‘ jetzt mal so aus, dass es darum geht, sicherzustellen, dass eine Sexarbeiterin diese Arbeit freiwillig macht. Die Frage, aus welcher Motivation heraus sie das macht, werde ich nur am Rande berühren. Es gibt durchaus Menschen, die in Frage stellen, ob es eine Frau gibt, die freiwillig Sexarbeit macht, und die als Grundlage z.B. psychische Traumata vermuten oder übermäßige wirtschaftliche Zwänge. Dieses Thema mit zu behandeln würde jedoch den Rahmen dieses Textes sprengen; vielleicht werde ich zu einem späteren Zeitpunkt darüber schreiben.

2017 trat das Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG) in Kraft, das seitdem von vielen Menschen, die mit Prostituierten zu tun haben, und von diesen selber scharf kritisiert wird. Wie der Name es sagt war es jedoch Absicht dieses Gesetzes, Prosituierte zu schützen – im Zweifelsfall auch vor sich selbst. Hauptaspekte dieses Gesetzes sind eine Erlaubnispflicht für Bordelle, die u.a. ein Sicherheitskonzept und eine Überprüfung des Betreibers beinhaltet, sowie die Registrierung aller Prostituierten und eine verpflichtende Gesundheitsberatung für alle. (Es ist vor allem diese Registrierung, die in der Kritik steht, da sie viele Frauen in die Illegalität gedrängt hat.)

Die Registrierung ist verbunden mit einem Gespräch über die Rechte von Prostituierten gegenüber Betreibern und mit einer Einführung in Sicherheitsaspekte. Wie jede Registrierungsstelle und jede Beamtin das im Detail regelt, bleibt Ihr überlassen. Ich habe diese Registrierung jetzt zwei Mal mitgemacht. Beim ersten Mal war die Beamtin bemüht, aber mit wenig Ahnung von der Materie, und ich war genervt. Beim zweiten Mal war es ein nettes Gespräch über die Frage, wie ich mit dem Corona-Lockdown klarkomme. (Aus anderen Bundesländern habe ich negative Geschichten über inquisitorische Fragen gehört.) Positiv ist anzumerken, dass bei diesen Gesprächen keine Begleitpersonen zugelassen sind und das Amt für ausländische Prostituierte einen Dolmetscher stellt. Theoretisch hat eine Frau also in dieser Situation die Möglichkeit, um Hilfe zu bitten.

Kontrolliert werden kann diese Registrierung jedoch nur vom Ordnungsamt. Ich glaube nicht, dass in Bordellen viele solcher Kontrollen durchgeführt werden. In meiner Zeit im Appartement habe ich es einige Male erlebt, dass Verbindungsbeamte der Polizei sich vorgestellt haben und Visitenkarten verteilt und Hilfe angeboten, und dass Frauen von Beratungsstellen da waren. Das ist ein deutlich niedrigschwelligeres Angebot für Frauen in Not als es die Registrierungsstelle bietet. Alle Frauen, die nicht in offiziellen Bordellen arbeiten, und/ oder häufig den Standort wechseln, fallen durch das Netz dieser Maßnahmen.

Kunden sind nicht berechtigt, eine Sexarbeiterin nach ihrer Registrierung zu fragen. Bei offziellen Bordellen kann davon ausgegangen werden, dass diese angemeldet und die Frauen registriert sind. Im Escort-Bereich ist diese Kontrolle nicht gegeben. Wie stellt eine Kunde also fest, ob eine Frau dieser Tätigkeit freiwillig nachgeht?

Es gibt Menschenhandel und Zwangsprostitution, was Verbrechen sind, die entsprechend verfolgt und bestraft werden sollten. Dies macht aber nur einen sehr kleine Prozentsatz der Frauen in der Prostitution aus. Ein schwieriges Themen sind Frauen aus dem außereuropäischen Ausland (und Osteuropa), die kein Deutsch oder Englisch sprechen – sich hier also nicht verständigen können und auch häufig mit rechtlichen Aspekten nicht auskennen. Hier kann die oben genannte Registrierung helfen, aber viele arbeiten ohne Registrierung . Damit sind sie auf Vermittlungspersonen angewiesen, die sich um Einreise, Unterbringung und Vermittlung kümmern. Es gibt Vermittler, die das fair handeln, und solche, die die Unwissenheit der Frauen ausnutzen. Es mag auch immer wieder der Fall sein, dass die Frau zwar theoretisch weiß auf was sie sich einlässt, die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten aber so beschönigt wurden, dass sie der Reise nach Deutschland unter falschen Annahmen zugestimmt hat und hier nicht klarkommt.

Falls ein Kunde bei einer Frau das Gefühl hat, dass sie in einer solchen Situation ist, ist es am sinnvollsten den Kontakt zu einer Beratungsstelle oder zur Polizei herzustellen. Viele Beratungsstellen verteilen Flyer (auch in anderen Sprachen), und es gibt Notrufnummern. So etwas wie ein ‚fairtrade“-Siegel, wie es mein Kunde angedacht hat, würde diesen Frauen nicht helfen, da sie wie beim ProstSchG durch Raster fallen würden.

Der Großteil der Frauen in Deutschland machen diese Arbeit freiwillig. Wie gerne sie ihn macht oder ob sie vielleicht lieber aussteigen würde oder zumindeste eine Auszeit bräuchte, steht auf einem anderen Blatt – da werde ich in einem Folgetext drüber schreiben. Theoretisch steht es jeder Frau frei, einfach jederzeit aufzustehen, sich anzuziehen und zu gehen, ohne dass sie jemand davon abhalten würde.

Zwangsberatung vs Beratungsstellen

Im November muss ich immer zur Gesundheitsberatung nach ProstSchG. Das ist seit 2017 vorgeschrieben (ebenso wie alle zwei Jahre die Registrierung). Diesmal war ich in unter zehn Minuten wieder raus. Ich saß einer jungen Sozialpädagogin gegenüber, die sehr nett und bemüht war. Gleichzeitig war ihr aber wohl bewusst, dass das für fast alle Frauen eine Pflichtveranstaltung ist, die sie schnell hinter sich bringen wollen – und wie viel Ahnung sie selber vom Gewerbe hat, kann ich nicht beurteilen.

Ich merke bei diesen Terminen immer, dass ich sehr darauf bedacht bin, mich selbst darzustellen. Alles was ich sage bringt rüber, wie lange ich das schon mache, wie selbstsicher ich bin, was ich alles weiß, worauf ich alles achte… Das ist aber irgendwie nicht Sinn eines Beratungsgesprächs. Da kommt halt zum Tragen, wie wichtig diese Bescheinigung ist, um weiterarbeiten zu können. Wenn ich mich hier verletzlich zeige, vielleicht sogar hilflos oder überfordert, kann das meine berufliche Existenz bedrohen. Ich stelle mir vor, dass das für die Beraterin auf der anderen Seite genauso frustrierend ist wie für die Frauen; es kommt kein echter Kontakt zustande, und eventuelle Hilfsangebote kommmen nicht an.

Ganz anders läuft es im Casa Blanca, einer deutlich älteren Beratungsstelle hier in Hamburg, bei der man anonym bleiben kann. Dort kann ich ehrlich von meinen Gedanken und Problemen erzählen, ohne das darüber geurteilt wird – und auch um Hilfe bitten. Die ganze Absicht des Prostitutionsschutzegesetzes läuft ins Leere durch den Zwang, der durch dieses Gesetz ausgeübt wird. Das Geld hätte man besser in offene Beratungsstellen investiert!

Gerade habe ich gelesen, dass der Bund drei Millionen Euro für Modellprojekte zur Verfügung stellt, die sich mit Ausstiegsberatung für Prostituierte beschäftigen: „Ziel sei die Chancengleichheit ehemaliger Sexarbeiterinnen auf dem regulären Arbeitsmarkt. Der Verein berate die Frauen zu Existenzsicherung, Wohnsituation, körperlicher und seelischer Gesundheit und begleite sie auch bei Behördengängen. Auch ein Bewerbungstraining werde angeboten.“ Jetzt kann man darüber diskutieren, ob Ausstieg immer das Ziel sein sollte oder es manchmal auch einfach anderer Wege bedarf, um besser mit den Herausforderungen in der Sexarbeit umzugehen. Aber eine solche freiwillige, offene Beratung ist auf jeden Fall ein sinnvollerer Weg als der verkrampfte Zwang des Prostitutionsgesetzes – dort der trifft der alte Spruch zu: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“

Werbeportale

Nicht viele Sexarbeiterinnen haben eine eigene Homepage, und wenn sie eine haben, ist es schwierig, alleine darüber genügend Kunden zu erreichen. Der Großteil der Werbung läuft über größere Seiten, auf denen die Frauen Anzeigen schalten können bzw Profile erstellen.

Sexarbeiterinnen sind auf diese Seiten angewiesen. In fast jeder Region gibt es so etwas wie einen Marktführer – die eine Seite, auf der man auf jeden Fall landet, wenn man nach einer Sexarbeiterin für die Region sucht. Die Betreiber dieser Seiten sind sich ihrer Position sehr bewusst – und lassen sich das sehr teuer bezahlen. (Bei einer Hamburger Seite habe ich darüber hinaus mal ein Verhalten gegenüber den Frauen erlebt, dass man sich in keiner anderen Branche würde leisten können.)

Immer wieder kommt jemand auf die Idee, auch mit so einer Seite Geld verdienen zu wollen. Eine Seite ist schnell zusammengebastelt. Aber da man nur schwer dem Marktführer Konkurrenz machen kann, wird auch hier mit unfairen Mitteln gearbeitet – in vielen Fällen in Form von kopierten Profilen. Da tauchen Frauen dann auf Seiten auf, auf denen sie nie selber Anzeigen geschaltet haben, und häufig sind die Informationen falsch oder zumindest unvollständig. Das führt zu viel Ärger bei den Frauen und Frust bei den Kunden.

In den letzten Monaten ärgere ich mich vermehrt über einen Betreiber, der zwei Seiten zum Thema Tantra-Massage bzw Erotische Massage hat. Früher hatte ich da mal Werbung geschaltet, was gut lief. Als Massagen bei mir in den Hintergrund traten, habe ich die Anzeigen irgendwann gelöscht. Nun scheint es diesem Anbieter in letzter Zeit nicht gut ergangen zu sein (ob wegen Corona oder aus anderen Gründen kann ich nicht beurteilen). Seine Idee, um trotzdem Geld zu verdienen: Alte Profile von AnbieterInnen hochladen, aber ohne Kontaktinformationen, so dass Kunden eine Mitgliedschaft erwerben müssen. Auch dann gibt es jedoch keine Kontaktinformationen, sondern man kann lediglich über ein internes Mailsystem schreiben. Diese Mails werden natürlich nie beantwortet, denn die Frauen wissen nichts von diesen Anzeigen.

Manchmal versuche ich, Anzeigen mit kopierten Daten löschen zu lassen (falls es mir irgendwie auffällt). In den meisten Fällen bekomme ich keine Antwort und es passiert gar nichts. Ich habe mir auch schon sagen lassen müssen, dass das nicht illegal wäre, da die Daten ja auch an anderer Stelle öffentlich im Internet stehen, und dass ich das demnach hinnehmen müsse.

Sexarbeit nach Corona

Ich habe jetzt schon in mehreren Zeitungsartikeln gelesen, dass viele Sexarbeiterinnen auch nach Corona weiterhin „in der Illegalität arbeiten“ und die offiziellen Bordelle (Laufhäuser, Clubs, Appartements etc) Probleme haben, genügend Frauen zu finden, die dort arbeiten wollen.

Mein erster Gedanke ist dabei, dass Sexarbeit (in Deutschland) nicht illegal ist, auch wenn sie nicht in offiziellen Bordellen ausgeübt wird. Es ist völlig legal, als Escort zu arbeiten und Haus- oder Hotelbesuche zu machen, oder Sexarbeit in der eigenen Wohnung oder im Hotel anzubieten. Während Corona war das illegal, weil es gegen das Prostitutionsverbot der Corona-Maßnahmen verstieß. Dieses Verbot wurde aber mittlerweile aufgehoben und es gelten die Regeln wie vor Corona (plus Hygiene-Auflagen und Nachverfolgungspflicht, die weiterhin gelten, und 2G/3G).

Die Corona-Krise hat unsere Gesellschaft und auch die Sexarbeit verändert, und die längerfristigen Folgen sind noch nicht absehbar. Einige Sexarbeiterinnen haben sich während Corona andere Tätigkeiten gesucht und werden vielleicht nicht in die Sexarbeit zurückkehren. Einige haben während dieser Zeit illegal weitergearbeitet und dabei neue Strukturen geschaffen, aus denen sie nicht in die alten Strukturen zurückkehren (zumindest nicht sofort). Ich bin nicht sicher, ob das wirklich so negativ ist, wie es dargestellt wird.

Bordelle werben mit einer erhöhten Sicherheit für die Frauen. Das ist richtig, man arbeitet nie alleine und hat immer Hilfe vor Ort, wenn es Probleme mit einem Kunden gibt. Außerdem ermöglichen Bordelle es denn Frauen, gegenüber den Kunden absolut anonym zu bleiben; das ist auch ein Sicherheitsfaktor (Stalking ist ein weit verbreitetes Problem) und verringert das Risiko, ungewollt geoutet zu werden.

Andererseits sind die Verdienstmöglichkeiten auf ganz selbständiger Basis natürlich höher. Ein Appartementzimmer o.ä. kostet mehrere hundert Euro die Woche. Alternativ wird ein nicht geringer Prozentsatz des Verdiensts an den Betreiber abgegeben.

Im Endeffekt muss jede Sexarbeiterin selbst entscheiden, wo für sie die optimale Balance zwischen Verdienst/Kosten und dem Service ist, den Betreiber bieten. Ich würde mir wünschen, dass diese Entscheidungen individueller betrachtet und dargestellt würden und nicht ständig alles über einen Kamm geschoren und als positiv/negativ dargestellt wird.

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