Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Kategorie: Sexarbeiter-Welt (Seite 3 von 7)

Gedanken zum Thema Sexarbeit in Gesesllschaft und Politik

Die Wand

Es handelt sich hier um eine allgemeine Betrachtung, nicht um etwas was mich aktuell betrifft.

Ich glaube, dass es keine Sexarbeiterin gibt, die das noch nie in ihrer Laufbahn erlebt hat: den Moment, wo man plötzlich das Gefühl hat, vor eine Wand zu laufen. Plötzlich geht gar nichts mehr. Es passiert morgens beim Aufstehen, oder auch mitten am Arbeitstag im Bordell. Der einzige vorherrschende Gedanke ist plötzlich: „Ich kann das nicht mehr; ich kann da jetzt nicht reingehen.“

Früher habe ich solche Momente als Zeichen gewertet, dass Prostitution halt doch „kein Job wie jeder andere ist“, sondern in irgendeiner Form übergriffig oder traumatisierend (also so, wie es Prostitutionsgegner immer behaupten). Heute sehe ich das differenzierter.

Sexarbeit ist enorm fordernd, im körperlichen Sinne, aber vor allem emotional. Es ist ein ständiges Spiel mit Grenzen, und Übergriffe lassen sich nie zu 100% verhindern. Im Laufe der Jahre kann eine Sexarbeiterin lernen, ihre Kunden präziser auszuwählen und Grenzen klarer zu setzen. Trotzdem wird es immer wieder Vorfälle geben, die „unter die Haut“ gehen.

Hinzu kommt, dass gerade die Sexarbeiterinnen in Bordellen meist sehr viel Zeit dort verbringen. 10-12 Stunden am Tag oder länger sind normal. Work-Life-Balance wird in freien Tagen gesehen, und wenn es nicht gut läuft, fallen die auch schnell mal aus.

In anderen Berufen nennt man es wohl Burnout. Aus den letzten Jahren kennen wir alle die romantisierten Bilder aus Krankenhäusern von Ärzten oder Pflegepersonal, die zusammengesunken vor einer Wand sitzen.

Im Endeffekt bleibt in dieser Situation nur eins zu tun: nach Hause gehen. Urlaub machen. Sich Zeit nehmen für sich selbst – ausschlafen, entspannen, zur Ruhe kommen. Im Idealfall merkt man es beim nächsten Mal ein paar Tage vorher, wenn es zu viel wird – bevor man wieder vor der Wand steht.

Häufig dauert es aber einige solcher „Zyklen“, um die Mechanismen zu verstehen und sich besser zu regulieren. Es gibt durchaus auch Sexarbeiterinnen, die in einer solchen Situation den Job ganz an den Nagel gehängt haben, ohne zurückzusehen. Vielleicht sind sie danach in einem anderen Job glücklicher geworden, der weniger belastend ist.

Schwarz-Weiß-Denken

Ich bin viel auf Facebook unterwegs. Dort teilen sich die Beiträge über Sexarbeit in zwei Kategorien: die der Prostitutionsgegner, für die alle Frauen Opfer und alle Kunden Täter sind und die sich für das Nordische Modell einsetzen, und die aus dem Umkreis des Berufsverbandes (und Vereinen wie Donna Carmen u.a.), die Sexarbeit als Traumjob propagieren und die Wichtigkeit für die Gesellschaft betonen. Der Graben zwischen diesen beiden Fraktionen ist tief und unüberwindbar.

Generell ordne ich mich eher der zweiten Fraktion zu, schon allein weil ich mich in den Geschichten der Prostitutionsgegner (in denen es meist um irgendeine Form von Zwang geht) so gar nicht wiederfinde. Trotzdem fühlt sich diese uneingeschränkte Positivität manchmal falsch an.

Ich bewege mich seit fast 25 Jahren in der Sexarbeit, allerdings nur relativ wenig in Bordellen. Ich behaupte also nicht, alles gesehen zu haben, zu kennen und die Gesamtsituation beurteilen zu können. Allerdings habe ich in den Jahren keine Frau getroffen, die nicht freiwillig in die Sexarbeit gegangen ist. Manche waren da nicht glücklich mit und hätten gerne wieder aufgehört, haben aber noch den für sie richtigen Weg in den Ausstieg gesucht. Für viele war es einfach eine Arbeit, die ihnen mehr Geld und Freiheiten bot als andere Tätigkeiten, die ihnen offenstanden.

Sexarbeit erfordert von Seiten der Anbieterin viel Klarheit, ein gewisses Maß an Nüchternheit und klare Grenzen. Außerdem ist eine gesunde Work-Life-Balance wichtig, die leider in sehr vielen Fällen fehlt. Insgesamt ist es eine anstrengende, oft emotionale Tätigkeit – und ja, sie kann auch traumatisieren. Dasselbe gilt aber für viele andere Tätigkeiten auch, z.B. Polizisten, Pflegekräfte, Sozialarbeiter etc.

Ich würde mir einfach mehr Bewusstheit für die schwierigen Seiten dieser Arbeit wünschen, und Angebote um zu lernen wie man damit umgeht. Dann könnte ich auch die schönen Seiten und Vorteile betonen. Nichts im Leben ist nur Schwarz oder Weiß, erst recht nicht eine so umstrittene Tätigkeit wie Sexarbeit.

(Diese Bewusstheit fehlt übrigens nicht nur Außenstehenden, sondern häufig auch den Betroffenen selbst. Siehe dazu meinen Beitrag „Die Wand“, den ich in ein paar Tagen hier veröffentlichen werde.)

Huschke Mau

In dieser Woche habe ich schon zwei Mal mit Freunden darüber diskutiert, ob es Sinn macht, manchen Menschen Aufmerksamkeit zu geben oder ob man sie am besten ignoriert. Konkret geht es um Huschke Mau. Sie hat sich in den letzten Jahren zu einem der Gesichter der Prostitutionsgegner in Deutschland gemacht und tingelt damit durch diverse Medien. Sie hat eine Organisation gegründet, die Frauen beim Ausstieg hilft (Netzwerk Ella) und setzt sich für das Nordische Model ein.

Ich habe vor einigen Jahren einen Text von ihr gelesen, der „Wiedereinstiegsgedankenkreisel“ hieß (damals hatte ich ihren Namen noch nie gehört). In diesem Text fand ich viele meiner eigenen Gedanken und Verhaltensweisen wieder, wenn auch überspitzt. Seitdem folge ich ihr bei Facebook und lese immer wieder Texte von ihr – mit immer weniger Spaß, denn in ihren Augen sind Freier grundsätzlich gewaltbereite Täter und Frauen immer Opfer.

Vor kurzem hat sie eine Talkshow verlassen, weil die anderen Teilnehmer nicht bereit waren, ihren Standpunkt zu teilen. Im Nachhinein regte sie sich dann darüber auf, dass sie als „Ex-Prostituierte“ bezeichnet worden war – sie sei doch mittlerweile Doktorantin und hätte viel mehr erreicht. Sie sitzt aber in dieser Talkshow und beruft sich auf ihre Geschichte und vergleichbare Schicksale, wenig auf die diversen Daten und Meinungen, die es zu dem Thema gibt. Wenn sie die Rolle so klar annimmt, warum wehrt sie sich dann im Nachhinein dagegen?!

Huschke Mau hat eine Vergangenheit voller Gewalt, beginnend mit einem gewalttätigen Elternhaus, aus dem sie mit 17 flieht. Das ist eine tragische Geschichte, aber gleichzeitig keine typische. Die Frauen, die ich in der Sexarbeit kennengelernt habe, hatten sehr unterschiedliche Geschichten und Beweggründe – die wenigsten davon waren so dramatisch wie die von Huschke Mau.

Wenn ich Gedanken zu Huschke Mau und ihren Thesen formuliere, komme ich mir vor, als wollte ich einem Opfer häuslicher Gewalt von meiner glücklichen Beziehung erzählen. Die Erfahrungswelten sind so weit auseinander, dass sich einfach kein gemeinsamer Nenner finden lässt. Theoretisch redet man über dasselbe (über Beziehungen bzw über Sexarbeit), aber vergleichbar ist es doch überhaupt nicht.

Letztes Jahr hat Huschke Mau ein Buch herausgebracht, dem sie den Titel „Entmenschlicht“ gegeben hat. Es lag einige Monate ungelesen in meinem Regal, und jetzt habe ich mich dazu durchgerungen, es zu lesen. Es macht keinen Spaß, aber ich finde es wichtig, auch in diese Seite der Diskussion einen Einblick zu haben. Buchbesprechung folgt, wenn ich es durch geschafft habe.

Prostitution als der einfachste Weg

Vor vielen Jahren habe ich mal in einem Buch folgende Aussage gelesen: „Frauen, die sich prostituieren, gehen den einfachsten Weg. Sie sind nicht bereit, sich den Problemen in ihrem Leben zu stellen und nach anderen Lösungen zu suchen.“ Damals habe ich mich über diese Aufgabe furchtbar aufgeregt; wer wird schon gerne als jemand gesehen, der sich dem Leben nicht richtig stellt?! Mittlerweile denke ich, dass in der Aussage doch etwas Wahrheit steckt.

Den meisten Menschen ist bewusst, dass Prostitution keine einfache Tätigkeit ist, sondern viel emotionale Stärke und Selbstsicherheit braucht. Trotzdem fangen einige Frauen ziemlich naiv mit Sexarbeit an, mit Gedanken wie „Ich kann das ja mal ausprobieren.“ Das ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt von Prostitution: man kann relativ schnell und einfach einsteigen. (Theoretisch kann man genauso schnell und einfach wieder aussteigen. Warum das in der Praxis selten klappt, ist ein Thema für einen anderen Blog.)

Ich habe auch so angefangen. Nur nebenbei, eine handvoll Termine, dann habe ich erst mal wieder aufgehört. Selbst als ich später fünf Tage die Woche in einem Club gearbeitet habe, war das irgendwie „nebenbei“ und relativ locker. In manchen Bordellen gibt es nicht einmal Schichtpläne, sondern die Frauen können kommen und gehen wie sie wollen; wer da ist verdient Geld, wer nicht da ist eben nicht. Bei welcher anderen Tätigkeit gibt es diese Möglichkeit?

Das Problem dabei ist, dass man sich an diese Freiheit gewöhnt. Es wird einfach, nur so in den Tag hinein zu leben. Man arbeitet bis man genug Geld verdient hat, dann macht man frei bis man wieder Geld braucht. Keine Planung notwendig, man kann voll im Moment leben. Der Verdienst in der Prostitution ist meist hoch genug, dass das funktioniert, solange man den eigenen Lebensstandard nicht zu hoch schraubt (was manchen Anfängerinnen schwer fällt).

Wenn man einer normalen, angestellten Arbeit nachgeht, ist nicht nur ein hohes Maß an Disziplin und Zuverlässigkeit nötig (und vorab ein Bewerbungsprozess), sondern man muss auch seine Finanzen planen, da es halt nur ein Mal im Monat Gehalt gibt. Für viele Menschen mag diese Feststellung lächerlich klingen, da sie schon im frühen Erwachsenenalter gelernt haben, mit Geld umzugehen. Prostituierten fehlt diese Fähigkeit häufig. Sie sprechen von „Handgeld“ als das Geld, was sie für tägliche Ausgaben brauchen, und haben manchmal jemanden anders, der sich um den ganzen anderen Kram kümmert. (Auch das Zuhälter-Thema braucht einen eigenen Blog.) Viele Prostituierte leben sehr in den Tag hinein, gerade wenn sie jung sind.

Von dieser Perspektive aus betrachtet ist Prostitution durchaus der einfachste Weg – der leider auch in eine Sackgasse führen kann, wenn man sich auf diese Einfachheit verlässt und nicht irgendwann anfängt, Pläne für den Rest des Lebens zu machen.

Flüchtlinge und Zwangsprostitution

Bei den Flüchtlingen aus der Ukraine handelt es sich, im Gegensatz zur Flüchtlingswelle 2015, überwiegend um Frauen und Kinder. Vielen wird von Privatpersonen Hilfe angeboten, in Form von privaten Unterkünften, Hilfestellung bei Wohnungssuche, Anträgen, Kleidung und Gebrauchsgegenstände, etc. Die überwiegende Anzahl dieser Hilfsangebote ist zweifelsohne selbstlos, einfach ausgelöst durch das Leid direkt vor unserer Haustür.

In der letzten Woche gibt es aber auch Stimmen von Flüchtlingsorganisationen und -helfern, die geflüchtete Frauen zu mehr Vorsicht mahnen. Leider gibt es durchaus auch Menschen, die die Notlage dieser Frauen ausnutzen, um „Gefälligkeiten“ zu erzwingen oder Abhängigkeiten herzustellen. In diesem Zusammenhang steht auch schnell das Wort „Zwangsprostitution“ im Raum.

Für mich ist Zwangsprostitution ein schwieriges Thema. Ich möchte nicht abstreiten, dass es Zwangsprostitution in Deutschland gibt, sowohl in Form von Menschenhandel als auch (viel häufiger) in Form von Ausnutzung von Notlagen und Abhängigkeiten. Andererseits stellen viele Prostitutonsgegner es so hin, als wäre jede Form von Prostitution Zwangsprostitution oder zumindest sehr massiven wirtschaftlichen Zwängen geschuldet. Damit bringen sie mich und jede andere Frau, die dieser Tätigkeit freiwillig nachgeht, in die Position, höchst private und intime Entscheidungen und Geschichten darlegen und rechtfertigen zu müssen. Die Steigerung davon ist es, nicht nur diese Geschichten zu verdrehen, sondern auch die psychische Gesundheit und Entscheidungsfähigkeit von Frauen in der Prostitution in Frage zu stellen.

Ziemlich weit oben auf meinem SUB (Stapel ungelesener Bücher) liegt das Buch „Entmenschlicht“ von Huschke Mau, einer der führenden Prostitutionsgegnerinnen in Deutschland und Verfechterin des „Nordischen Models“. Sie vertritt ziemlich genau die gerade beschriebenen Auffassungen. Im Zusammenhang mit ihrer Geschichte kann ich das nachvollziehen und schätze durchaus auch viele ihrer Texte. Trotzdem finde ich ihren eingleisigen Blick und ihre Kompromisslosigkeit falsch. (Rezession des Buches folgt, sobald ich es gelesen habe.)

Zwangsprostitution und Sexarbeit (als Oberbegriff für freiwillige Prostitution in all ihren unterschiedlichen Aspekten) sind für mich zwei völlig unterschiedliche Dinge – so wie vielleicht der Unterschied zwischen Sklaverei und Lohnarbeit. Das eine gehört zu Recht bekämpft, das andere hat eine Funktion in der Gesellschaft.

Ungewollte Werbung

Ein großes Problem als Sexarbeiterin ist, dass man sehr schnell die Kontrolle verliert, was im Internet mit Daten, Bildern etc geschieht. Ich habe schon mal über Berichte in Freierforen gelesen, die häufig grenzüberschreitend sind und im Schutz von Anonymität intime Details ausplaudern. Noch schlechtere Erfahrungen habe ich jedoch mit Werbeportalen gemacht.

Ich achte schon seit langer Zeit sehr genau darauf, auf welchen Seiten ich Anzeigen schalte, und lösche Anzeigen auch wieder, wenn die Seite oder die Reaktionen, die ich bekomme, nicht (mehr) zu meinem Stil passen. Das funktioniert aber nur, wenn ich auch weiß, wo diese Anzeigen stehen.

Leider ist es gerade bei neuen Seiten üblich, einfach die Daten und Fotos von anderen Seiten zu kopieren – meist ohne Wissen der Anbieterinnen. Eine Kollegin von mir ist damit mal in ernsthafte Schwierigkeiten gekommen, da sie mit einer Seite eine Exklusivvereinbarung hatte, die ihr dann wegen so einem Verhalten einer anderen Seite gekündigt wurde.

Häufig sind die übernommenen Daten veraltet. Kunden erreichen die Anbieterin dann überhaupt nicht mehr, oder aber sie verlassen sich auf Angaben (z.B. zu Service oder Preisen), die nicht mehr aktuell sind. Das führt auf beiden Seiten zu Irritationen, Mißverständnissen und Ärger.

Tip für Kunden: Wenn Ihr eine Seite mit Anzeigen besucht, achtet darauf, ob ein Datum angegeben ist, wann die Anzeige geschaltet wurde, wann die Anbieterin das letzte Mal online war etc. Schaut lieber nach einer Telefonnummer und verlasst Euch nicht auf ein seiteninternes Nachrichtensystem, diese Nachrichten laufen häufig ins Leere.

Ich verlasse mich in den letzten Jahren überwiegend auf kaufmich, und selbst dort gab es jetzt einen Zwischenfall: Ich fand mich in einem Magazin-Artikel mit dem Thema „10 Dominas aus Hamburg“ wieder. Eigentlich sollte ich mich über die Extra-Werbung freuen. Es ist aber so, dass ich mich selber nie als Domina bezeichnet habe, da ich keine natürliche Dominanz besitze. Außerdem habe ich kein Studio mehr zur Verfügung und spiele daher nur noch in Ausnahmefällen in diesem Bereich.

Positiv ist, dass ich kaufmich angeschrieben habe und sie sich sofort entschuldigt haben. Das habe ich schon anders erlebt; häufig bekomme ich auf solche Mails gar keine Antwort und es wird auch nichts geändert.

Die negativsten Erfahrungen bisher habe ich bei markt.de gemacht. Ich habe dort nie selber eine Anzeige geschaltet, da ich die Seite zu unübersichtlich finde. Ich bekam aber durchaus schon Anrufe, die sich auf eine Anzeige auf markt.de mit meiner Nummer bezogen – mit völlig falschen Angaben zu Service, Preisen etc.

An dieser Stelle könnte die Rotlicht-Szene deutlich mehr Seriosität gebrauchen!


Ein ähnlicher Text von mir ist „Werbeportale“ vom 24.10.21

Privatwohnung vs Appartement

Ich habe in meiner Zeit als Sexarbeiterin schon in einigen Umgebungen gearbeitet. Angefangen habe ich als Escort und in Clubs; dort gab es einen festen Rahmen von Regeln und viel Unterstützung. Als ich dem Rotlicht den Rücken kehren wollte, habe ich in einer eigenen Wohnung Tantra-Massagen gegeben. Irgendwann bin ich aus privaten Gründen in ein Appartement gewechselt, wo ich mich dann nach und nach wieder mehr der klassischen Prostitution und auch dem Bizzar-Bereich zugewandt habe.

In meinem letzten Appartement war ich über vier Jahre und habe mich dort sehr wohl gefühlt. Der Nachteil eines Appartements sind die hohen Kosten, die es verursacht. Die Miete und andere Kosten lohnen sich nur, wenn man wirklich 5-6 Tage die Woche konsequent in Vollzeit oder mehr arbeitet. Dafür gibt es dort viele Möglichkeiten: neben meinem Zimmer hatte ich ein voll ausgestattetes Studio zur Verfügung und konnte auch immer wieder mit Kolleginnen zusammenarbeiten. Außerdem ist es eine sichere Umgebung.

Schon kurz vor dem ersten Corona-Lockdown habe ich darüber nachgedacht, mein Appartement-Zimmer aufzugeben. Ich wollte nicht mehr Vollzeit Sexarbeit machen, sondern hatte ein Angebot für einen Teilzeit-Job und wollte andere Bereiche meiner Selbständigkeit wieder mehr ausbauen. Dann kam der Lockdown und das Appartement war für lange Zeit geschlossen. Als wir im Oktober 2020 kurz wieder arbeiten durften, war mir die gesamte Situation zu unsicher, um zurück ins Appartement zu gehen.

Seit dem Ende des Lockdowns im letzten Sommer treffe ich meine Kunden in einer privaten Wohnung. Ein wenig fühlt es sich an als würde ich zu Tantramassage-Zeiten zurückkehren; genauso habe ich auch den Raum eingerichtet, und dieses Gefühl zieht sich durch die meisten meiner Termine. Meine Termine sind persönlicher geworden, geprägt von Nähe und Zärtlichkeit.

Gleichzeitig gibt es aber auch Einschränkungen: Mein Service ist eingeschränkter; den Bizzar-Bereich habe ich fast ganz hinter mir gelassen und konzentriere mich auf Massagen und Girlfriendsex. Ich arbeite nicht mehr so spontan wie früher, da ich den Raum auch anders nutze und viel mehr Zeit für Vorbereitungen brauche. Auch die Terminvereinbarung ist aufwendiger geworden, da ich verschiedene Vorsichtsmaßnahmen ergreife, um mich sicherer zu fühlen mit neuen Kunden. Es ist halt keine Kollegin mehr im Nebenzimmer, die mir im Notfall helfen könnte.

Schon im Appartement war ich sehr frei in dem, wie ich meine Termine gestaltet habe – zeitlich, finanziell, inhaltlich. Trotzdem hat die Umgebung und die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen mein Angebot beeinflusst. Jetzt fühle ich mich ganz frei in dem was ich tue – der Einrichtung des Raumes, dem zeitlichen Rahmen von Terminen, den Umgang mit meinen Kunden. Die Umgebung ist ruhiger, hygienischer und rauchfrei, was ich als angenehm empfinde.

Manchmal sehne ich mich nach dem Zauber des Rotlichts, der besonderen Atmosphäre in einem Bordellbetrieb. Dabei vergesse ich in meiner Nostalgie, wie hart es manchmal war, und wie viel mehr Rücksicht auf mich selbst ich jetzt nehmen kann.

Lusthaus-Forum

Freier-Foren im Internet haben einen extrem schlechten Ruf. Viele Prostitutonsgegner nutzen den rauen Ton solcher Foren, um für ein Verbot von Prostitution zu werben. Sie betrachten diese als frauenverachtend und untermauern das mit den abwertenden Beiträgen in solchen Foren.

Auch über mich gab es schon Beiträge, die mich alles andere als erfreut haben, und so habe ich es in den letzten Jahren vermieden, meinen Namen zu googeln oder solche Seiten zu besuchen. Vor ein paar Tagen siegte jedoch meine Neugier; angeregt durch einen Verweis aus dem Anti-Prostitutions-Lager habe ich das Lusthaus-Forum aufgerufen, um mir anzusehen, wie schlimm es denn wirklich ist.

Ich war überrascht – ich fand es nicht so schlimm. Ich habe eine handvoll Berichte über einige Frauen gelesen. Einige waren sehr positiv, andere sachlich, in einigen wurden Warnungen ausgesprochen, dass bestimmte Frauen keinen ehrlichen Service bieten würden. Der Ton war sachlich, und abgesehen von dem unschönen Begriff AZF (nein, das schreibe ich hier nicht aus, um es zu erklären) habe ich nichts gefunden, was ich als unfair oder unter der Gürtellinie betrachtet hätte. Im Gegenteil, viele Berichte waren durch ihre Ausführlichkeit sachlicher, als ich es sonst von Bewertungen im Internet gewohnt bin.

Die Seite hat sich auf die Fahne geschrieben, dass sie nichts zensiert. Demnach gibt es dort viel Pornografie in Wort und Bild – und Diskussionen über AO. Ich war erstaunt darüber, dass es dafür wohl doch eine nicht ganz kleine Szene gibt, sowohl mit Kunden die das nachfragen bzw erwarten als auch von Frauen die das anbieten (inklusive oder als Extra-Service). Ich war immer nur in Häusern unterwegs, in denen das ein absolutes Tabu war. (Seit dem Prostitutionsschutzgesetz von 2017 ist es darüber hinaus illegal.) Ja, es sind alles erwachsene Menschen, die selber wissen müssen, welche Risiken sie eingehen wollen – aber ich werde da auch in Zukunft einen großen Bogen drum machen, und schon die Frage danach bringt jemanden auf meine „Schwarze Liste“.

Insgesamt gilt für dieses Forum dasselbe wie für die meisten Werbeportale für Sexarbeiterinnen: Ich fühle mich dort nicht mehr richtig zugehörig. Meine Arbeit lässt sich nicht (mehr) in die Standards der Szene pressen, und darüber bin ich froh – auch wenn es das Marketing schwierig macht.


Generelle Gedanken zum Thema Bewertungen und Berichte findest Du in meinem Beitrag vom 21.10.21:

http://blog.traumfrau-mit-nebenwirkungen.com/gedanken/bewertungen-und-berichte/

Berührung, Nähe, Sexualität

In den letzten Jahrzehnten setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Berührung und Nähe menschliche Grundbedürfnisse sind, deren Fehlen zu ernsthaften psychischen und physischen Problemen führen kann. Im Gegensatz dazu leben immer mehr Menschen alleine, evtl mit einem Freundeskreis, häufig aber auch ziemlich einsam – und vor allem ohne Berührungen. Aus dieser Situation heraus sind eine ganze Reihe von Angeboten entstanden im Bereich Massagen und Körper- und Psychotherapie, neuerdings gibt es sogar professionelles Kuscheln.

Sexualität wird jedoch immer noch ausgeschlossen. Es gilt als Zeichen von Seriosität, dass eine Anbieterin ihre Dienstleistungen deutlich vom Bereich der Prostitution abgrenzt, und jeder Ausflug über diese Grenze kann für sie ernsthafte Konsequenzen haben. Da greifen veraltete Moralvorstellungen – Sex ist bäh, das kann gar nicht seriös sein. Aber auch Sexualität ist ein Grundbedürfnis – man kann zwar ohne Sex leben, aber jeder Mensch braucht irgendeine Form von Körperlichkeit und Sinnlichkeit in seinem Leben.

Es nervt mich, dass diese Grenzen immer so konsequent gezogen werden. Für mich persönlich führt das dazu, dass ich mich keiner Gruppe so richtig zugehörig fühle. Bei den Masseurinnen und Körpertherapeutinnen gehöre ich nicht dazu, weil ich halt mit Sexualität und Sinnlichkeit arbeite. Als klassische Prostituierte sehe ich mich aber auch nicht, diese Frauen haben häufig einen völlig anderen Umgang mit ihrer Arbeit und ihren Kunden, als ich es habe. Eine Zeit lang dachte ich, Tantra-Massagen wären die Lösung. Aber davon habe ich mich vor einigen Jahren aus verschiedenen Gründen zurückgezogen, und auch die Aktivitäten, die sich in den letzten Jahren rund um den Tantramassage-Verband entwickeln, betrachte ich eher mit Argwohn.

Es gibt durchaus auch Stimmen, die für einen seröseren Umgang mit dem Thema Sexarbeit stehen, und wunderbare Sexarbeiterinnen, die ihre Arbeit nach Außen vertreten (vor allen Dingen rund um den Berufsverband Sexarbeit). Dem Gegenüber stehen die alten Strukturen von Laufhäusern & Co – die offensichtlich immer noch ihre Berechtigung haben. Gerade in der momentanen Zeit zeigt sich, wie sehr wir alle nach Strukturen und Schubladen suchen – und nicht bereit sind, Individualität und Vielfalt anzuerkennen, uns damit auseinanderzusetzen, Dinge auch einfach mal stehen zu lassen…

Grenzen und Urteile

Letzte Woche gab es in Düsseldorf ein Gerichtsurteil, bei dem die Klage einer Tantra-Masseurin, sich nicht nach Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG) registrieren zu müssen, abgelehnt wurde. Es gab in den letzten Jahren mehrere Vorstöße des Tantramassageverbandes in diese Richtung; immer wieder wird versucht, Tantra-Massagen als therapeutische Massagen hinzustellen und deutlich von der Prostitution abzugrenzen.

Meine Erfahrungen mit Tantra-Massagen zu schildern und die daraus resultierende Meinung zu dem Thema würde den Rahmen dieses Textes sprengen, und gerade geht es mir um etwas anderes. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Branche wird viel darüber diskutiert, was genau Prostitution/ Sexarbeit beinhaltet und wo die Grenzen liegen. Auch versuchen einige Menschen, so etwas wie eine Hierarchie zu etablieren und Grenzen zu ziehen: Tantra-Massagen sind gut, Sex ist schlecht; Escort ist gut, Straßenstrich ist schlecht; selbstbestimmt ist gut, mit Anleitung ist schlecht; und so weiter.

In den letzten Jahren gibt es zum Glück auch immer wieder Stimmen, die sich gegen diese Abgrenzungen stellen und versuchen, sich allgemein für die Anerkennung von Sexarbeit in allen Bereichen einzusetzen (besonders fällt mir dazu der Berufsverband Sexarbeit ein). Für viele Anbieterinnen ist es schwierig, ihr Selbstbild klar rüberzubringen und nicht verurteilt zu werden. Auch Kunden gegenüber herrscht gesellschaftlich ein hohes Maß an Verurteilung und Ausgrenzung.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass es diese Grenzen wirklich gibt bzw das eine solche Abgrenzung gelingen kann. Jede Anbieterin und jeder Kunde definieren ihre Anforderungen und Inhalte in diesem Bereich selbst, und häufig ist es ein ständiges neu austarieren und ausprobieren. Ich finde es viel wichtiger, darüber ins Gespräch zu kommen und Standards zu entwickeln, die sich auf Fairness, Sicherheit und Toleranz beziehen, statt zu versuchen, ganze Bereiche zu verdrängen und negieren.

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »