Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Kategorie: Über mich (Seite 1 von 6)

Texte über mich, meine Geschichte und meine Einstellung zu Sexarbeit

Krankheit

Jetzt war ich tatsächlich mal wieder ein paar Tage richtig krank. Schon letzte Woche hab ich mich nicht richtig fit gefühlt, Freitagabend ging es mir dann gar nicht mehr gut, mit Husten und Erkältungssymptomen. Es ist leider auch nicht besser geworden, sondern das Wochenende habe ich komplett im Bett verbracht und Montag und Dienstag noch überwiegend zu Hause.

So etwas stellt mich immer gleich vor mehrere Herausforderungen. Zum einen bin ich so selten krank, dass ich da nur sehr wenig Geduld mit mir und meinem Körper habe und arg genervt bin. Nicht zum Sport zu gehen ist das eine, aber auch nicht zum Pferd ist schwierig, und wenn ich wie diesmal das Gefühl habe, mich so auf gar nichts konzentrieren zu können, bin ich echt mies gelaunt.

Zum anderen sage ich nur sehr ungerne Dates ab bzw lehne Anfragen ab. Mein Verantwortungsgefühl kämpft also mit dem Gedanken, dass ich meinem Kunden meine volle Aufmerksamkeit und Kraft schulde, und natürlich möchte ich auch niemandem mit irgendwas anstecken. Mittlerweile löse ich das gerne so, dass ich dem Kunden direkt sage, dass ich mich nicht so fit fühle, und es ihm überlasse, ob er den Termin trotzdem möchte oder ob wir das verschieben.

Heute geht es mir langsam besser. Morgen werde ich wieder zum Stall fahren, Sport erst nächste Woche wieder. Ich hoffe, dass ich trotzdem ein wenig schönes Wetter genießen kann – vielleicht wird es ja jetzt Sommer.

Gewichtsschwankungen

Vor ein paar Wochen hat mich jemand angeschrieben, welche Bilder in meiner Galerie die aktuellsten wären. Grund für diese Anfrage war, dass ich in seinen Augen in einigen dieser Bilder zu viel Gewicht hatte – und er wollte wissen, ob „es mir gelungen sei, das wieder abzunehmen“.

Ich muss zugeben, dass ich ein wenig getriggert war von dieser Aussage (wie es wohl die meisten Frauen wären). Dabei habe ich ein gesundes Selbstbild und Selbstbewusstsein und mache mir im Alltag selten Gedanken über mein Gewicht oder mein Aussehen. Ich wiege mich auch schon seit Jahren nicht mehr regelmäßig, das letzte Mal auf einer Waage stand ich vor rund einem Jahr.

Nach meinem Unfall vor 15 Jahren habe ich zuerst nur einige Kilo zugenommen. Zuvor hatte ich Idealgewicht, aber zuzunehmen hat mir geholfen, mein psychisches Gleichgewicht zu halten. Ich war und bin schon immer Stress-Esserin, und mit zunehmendem Alter steckt mein Körper das nicht mehr so leicht weg wie früher. Vor sieben Jahren habe ich aus verschiedenen Gründen fast zehn Kilo zugenommen; einiges davon habe ich wieder abgenommen, aber von meinem vorherigen Idealgewicht bin ich seitdem weit entfernt.

Ich war nie wirklich dünn oder „skinny“, selbst als Teenagerin nicht, aber auch nie wirklich übergewichtigt – und fühle mich auch heute nicht übergewichtig (auch wenn mein BMI das sagt). In den letzten Jahren schwankt mein Gewicht schon im Laufe meines Zyklus um 3-4 Kilo, und auch zwischen Sommer und Winter um einiges. Für mich ist das okay; es hilft mir, mein emotionales Gleichgewicht zu halten.

Ob ich mich sexy fühle oder nicht, hat selten mit meinem Gewicht zu tun. Letzte Woche im Urlaub hatte ich den Punkt, wo ich mich zu schwer fand – weil es meine Sportlichkeit beeinflusste. Gleichzeitig fühlte ich mich wohl, sicher und geborgen in meinem Körper, und ich fühlte mich auch noch sexy damit. Insgesamt würde ich mein Gewicht immer als „durchschnittlich“ oder „normal“ bezeichnen, und ziehe hoffentlich auch Kunden an, die genau das suchen.

Wer auf skinny oder durchtrainiert steht, ist halt bei mir falsch. Ich mag die Natürlichkeit meines Körpers und meines Wesens, und Gewichtsschwankungen gehören dazu.

Libido

Über Weihnachten und Sylvester habe ich überraschend zehn Tage frei gehabt. Ich bin nicht zu meiner Familie gefahren und hatte eigentlich geplant, ein paar Dates zu machen, hatte dann aber keinerlei Anfragen. Das ist selten, eigentlich hatte ich zwischen den Feiertagen immer Dates (viele Männer haben Urlaub und Zeit). Es war okay, es waren dann für mich zehn sehr ruhige Tage, die ich überwiegend mit Büchern auf der Couch verbracht habe.

Auch das neue Jahr fängt für mich sehr ruhig an. Ich habe zwar wieder Dates, aber dafür mache ich durch das schlechte Wetter (Glatteis) nicht viel mehr, sondern verbringe immer noch viel Zeit mit Büchern auf der Couch. Gerade ist mir aufgefallen, dass sich das auf meine Libido auswirkt, auf ganz ungewohnte Weisen.

Ich habe mal gelesen, dass Keuschhaltung bei Frauen nicht funktioniert. Während Männer immer geiler werden, je mehr in Sex verwehrt wird, verlieren Frauen völlig das Interesse an Sex, wenn sie keinen haben. Das erlebe ich bei mir oft so. Im Urlaub bin ich meist überhaupt nicht auf Sex eingestellt, sondern genieße es, meinen Körper zur Ruhe kommen zu lassen. Ich habe auch jetzt gerade nicht das Gefühl, dass mir Sex fehlt.

Bei den Dates, die ich in den letzten Tagen hatte, habe ich erstaunliche Erfahrungen gehabt. Es war keine hochkochende Lust, wie ich sie sonst kenne, sondern die Dates hatten alle eine ungewohnte Intensität und Tiefe. Diese Rückmeldung habe ich auch von mehreren Kunden bekommen. Und: mein Zeitgefühl ist verloren gegangen. Während ich sonst die Zeit ziemlich gut einschätzen kann und nur zur Kontrolle auf die Uhr schaue, habe ich diese Termine alle überzogen.

Für mich ist es total spannend, dass ich schon so viele Jahre meine Sexualität erforsche und auch schon so viele Jahre Sexarbeit mache, und trotzdem noch neue Erfahrungen machen kann!

A Life I Don’t Need A Vacation From

„My goal is to build a life I don’t need a vacation from.“

Schon seit vielen Jahren lebe ich nach diesem Motto: „Mein Ziel ist es, ein Leben zu schaffen, von dem ich keinen Urlaub brauche.“ Das gelingt mir immer besser.

Dieses Jahr war ich nicht in Urlaub, und ich habe es auch nicht vermisst. Wenn ich die letzten Jahre in Urlaub war, war das entweder zu einer Fortbildung oder um Zeit mit meinem Partner zu verbringen. Dieses Jahr habe ich Anfang des Jahres eine längere Fortbildung abgeschlossen; den Großteil davon an Wochenenden hier in Hamburg, den letzten Teil mit fünf Tagen in einem Seminarhaus im Wendland. Danach habe ich einen ruhigen Sommer hier in Hamburg verbracht.

Ich mag mein Leben, und ich mag meinen Alltag. Ich arbeite unregelmäßig, meist weniger als die meisten Menschen mit Anstellung, dafür zu ungewöhnlichen Zeiten. Dazwischen kann ich die Zeit für mich nutzen. Mein Leben hat einen sehr eigenen Rhythmus entwickelt, in dem sich aktive und ruhigere Phasen sehr natürlich entwickeln und abwechseln.

Dazu kommt, dass Hamburg eine Großstadt ist, die fast alles bieten, womit man seine Freizeit verbringen kann. Ich mag sowohl die Dinge, mit denen ich regelmäßig meinen Alltag fülle, als auch ein paar Mal im Jahr neue Dinge zu erleben, oder liebgewonnene Orte wiederzubesuchen. Darüber habe ich nicht häufig das Bedürfnis, völlig fremde Gegenden zu besuchen – zumindest nicht als Selbstzweck.

Als Selbständige habe ich keinen bezahlten Urlaub, sondern ich muss nicht nur die Reisekosten finanzieren, sondern auch den Verdienstausfall in der Zeit einplanen. Dazu kommen die vielen Dinge, die ich umplanen muss: Vertretung für meine Yogastunden finden, die Versorgung meines Pferdes organisieren. Beim Reisen ändert sich meist der komplette Ablauf: Schlafrhythmen, Bewegung, Ernährung. Das alles führt dazu, dass ich Reisen im Moment eher als Stress empfinde.

Wenn ich auf Social Media sehe, wie viel manche Menschen unterwegs sind, komme ich mir langweilig vor. Aber es ist mein Leben – eins, das ich so sehr genieße, dass ich keinen Urlaub davon brauche.

Weltenwechsel

Samstagmorgen um acht vertrete ich die Yogastunde einer Freundin. Nach ihrem Konzept habe ich eine Stunde zum Thema „Ahimsa“ gestaltet – Gewaltlosigkeit, sich selbst und anderen gegenüber. Ich leite die Teilnehmer durch eine einführende Meditation, dann Bewegungen, Atemübungen, Entspannung. Ich liebe es, einen Flow zu entwickeln, der jeden Schüler dort begleitet, wo er gerade ist, und gleichzeitig eine gemeinsame Energie in der Gruppe schafft.

Selbst mache ich nur einen Teil der Übungen mit. Zwischendurch bewege ich mich immer wieder durch den Raum, korrigiere, helfe, beobachte. Wenn ich vorne stehe und mich selbst bewege, ist jede Bewegung vertraut, hundertfach geübt. Sie bringen mich in meinen Körper als mein Zuhause.

Nach der Stunde stehe ich noch vorne am Tresen, spreche mit Schülern und mit einigen anderen Yogalehrerinnen, die zu einer Fortbildung ins Studio gekommen sind. Eigentlich hatte ich diese Fortbildung für mich auch geplant, es dann aber auf nächstes Jahr geschoben, so dass ich jetzt in meine Wohnung fahre.

Um elf habe ich eine Session. Im Minikleid empfange ich meinen Kunden, mache Smalltalk und ein kurzes Vorgespräch. Wir kennen uns schon, aber unsere letzte Session ist lange her. Trotzdem sind mir Stimmung und Abläufe so vertraut wie zuvor der Verlauf der Yogastunde, und ich genieße es genauso.

Ich stelle ihn in den Rahmen, spiele mit leichten Berührungen, die sich dann zum Schmerz steigern. Ich beobachte jede seiner Reaktionen, richte mich danach und lasse mich davon inspirieren. Nutze meine Hände, Fingernägel, einen Flogger, eine Gerte. Streichle ihn sanft und schlage überraschend zu.

Als ich vor ihm knie und Seile um seinen Körper wickle, frage ich mich kurz, was die Frauen im Yogastudio wohl denken würden, wenn sie mich so sehen könnten. Diese Welt scheint so völlig anders – und doch bin beides Ich, fühle ich mich in beiden Welten zu Hause, und sind die Gefühle von Konzentration und Hingabe an den Moment gleich.

Ich setze die Session fort mit einer Massage, lasse meinen Körper über seinen gleiten, und verwöhne seinen ganzen Körper mit seinen Händen und Lippen. Auch als ich ihm meinen Körper überlasse, seine Hände auf meiner Haut und seinen Körper über mir genieße, ist das kein Bruch im Gefühl. Immer noch bin ich diejenige, die gestaltet und leitet.

Immer wieder verzweifle ich an dem Versuch, meine Welten in Einklang zu bringen. Sie wirken so weit voneinander entfernt – doch in mir und in meinen Gefühlen sind sie sich oft ganz nah.

Sexueller Besitz

„Du bist eine sehr kluge Frau. Finde eine normale Arbeit. Dann können wir über uns reden.“ Das war eine der letzten Nachrichten, die ich von ihm bekommen habe, in diesen Wochen, in denen er sich mit viel Schweigen und wenigen Erklärungen von mir getrennt hat.

Diese Aussage ist an so vielen Stellen falsch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich lasse als erstes die Frage zur Seite, wie wir es geschafft haben, monatelang so aneinander vorbei zu reden – Beziehungen sind immer komplexer, als es sich in wenige Sätze packen lässt. Viel mehr beschäftigt mich gerade die Frage, wieso er meint, ein automatisches Exklusiv-Recht auf meinen Körper und meine Sexualität zu haben.

Vor einigen Wochen habe ich folgendes in einem Buch gelesen: „Das Anrecht auf sexuellen Besitz. Als erotisches Eigentum verstehen wir die Befriedigung von sexuellen Bedürfnissen innerhalb der Ehe und den Anspruch auf den Körper und die Sexualität des*der Partner*in. Im Grunde genommen das, was wir bis heute in der seriellen Monogamie leben.“

Ich habe das Konzept der Monogamie ehrlich gesagt nie ganz verstanden, und mich in den letzten Jahren auch zumeist geweigert, irgendwem Versprechungen in diese Richtung zu geben. Immer wieder erstaunt es mich, wie viele Menschen Monogamie in einer Beziehung als Selbstverständlichkeit und Voraussetzung sehen – wo die Realität doch zumeist ganz anders aussieht.

Jemand hat sich mal die Mühe gemacht, sich mit Zahlen zum Thema Treue zu beschäftigen. Er fand, dass 90% aller Männer und 75% aller Frauen mindestens ein Mal in ihrem Leben fremdgehen, dass also in 2/3 alle Beziehungen Untreue vorkommt und die Chance, dass die eigene Beziehung wirklich monogam ist, bei unter 50% liegt. Trotzdem werden wohl die meisten Menschen automatisch behaupten: „Mein Partner macht sowas nicht.“ und da fest von überzeugt sein.

Ich war häufig „die Andere“, also die Frau, mit der Männer fremdgegangen sind (in meiner Rolle als Sexarbeiterin und ein paar Mal auch in meinem Privatleben). Ich bekomme mit, wie selbstverständlich manche Männer dies tun, und wie schwer sich manch andere damit tun, und ich bekomme mit, wieviel Aufwand dafür betrieben wird – und dass es wirklich so gut wie keine Möglichkeit gibt, es zu verhindern. (Da habe ich eine schöne Geschichte zu, die ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt in einem eigenen Text erzählen werde. Genauso wie Gründe und Methoden beim Fremdgehen einen Text für sich verdienen.)

Wenn Fremdgehen also eher Normalität als die Ausnahme ist, warum behaupten dann so viele Menschen stur das Gegenteil? Weil sie den anderen Menschen als ihren Besitz ansehen und nicht bereit sind, sich mit ihren eigenen Gefühlen (Verlustangst, Eifersucht etc) auseinanderzusetzen, und nur begrenzt die Verantwortung für die Sexualität der Beziehung übernehmen.

Bin ich verantwortlich für die Sexualität meines Partners? Die meisten Menschen würden das erst mal mit Nein beantworten. Das hängst zusammen mit den oben erwähnten „ehelichen Pflichten“, die zu recht abgeschafft wurden. Andererseits: wenn ich meinem Partner jegliche Sexualität außerhalb der Beziehung verbieten will, muss ich mich dann nicht verantwortlich fühlen für seine sexuelle Erfüllung? Versteht mich nicht falsch: Ich glaube nicht, dass ich jeden Wunsch meines Partners erfüllen muss. Aber ich muss gemeinsame Sexualität aktiv leben und gestalten und mich mit den Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen.

Treue und gelebte Monogamie sind für mich ein Ideal und ein Geschenk. Etwas, woran jeder Mensch für sich in seiner Partnerschaft aktiv arbeiten kann, indem er sich immer wieder auf den Partner konzentriert und in Kontakt geht. Gleichzeitig sollten wir im Hinterkopf haben, wie menschlich es ist, auf diesem Gebiet zu versagen – und es dann vielleicht nicht als das große Drama sehen, sondern als Stolperstein. Um nach dem Stolpern wieder aufzustehen und weiterzumachen.

Zurück zu meiner zerbrochenen Beziehung: Ich habe mich in den letzten Monaten durchaus als monogam erlebt. Ich habe meine Sexualität und große Teile meines Lebens auf meinen Partner ausgerichtet. Ich war aber nicht bereit, für eine gerade begonnene Beziehung mein ganzes Leben über den Haufen zu werfen. Ich liebe meine Arbeit, ich mache sie gerne und bin gut darin, und sie gibt mir viele Freiheiten. Ich kann mir auch nicht mehr vorstellen, angestellt zu arbeiten. Ich habe die Option gesehen, mich noch mehr auf andere Tätigkeiten zu konzentrieren und die Sexarbeit vielleicht irgendwann auslaufen zu lassen. Aber das wäre ein langer Prozess gewesen, der einer Entwicklung in der Beziehung bedurft hätte – und garantiert nichts, was sich mal eben so zur Voraussetzung machen lässt.

Schattenwelten

Vor kurzem habe ich den Begriff „Schattenwelt“ im Zusammenhang mit Sexarbeit gelesen. Genauso erlebe ich es gerade auch wieder vermehrt: dass ich mich in einer Welt bewege, die für mich selbstverständlich ist, die aber sehr weit weg ist von den Erfahrungen der meisten Menschen und demnach für viele absolut unvorstellbar. Das gilt nicht nur für Sexarbeit, sondern für viele Szenen, die sich mit Sexualität beschäftigen, die etwas abseits der Norm liegt: SM, Fetische, Swinger, alternative Beziehungsformen etc.

Ich bewege mich in vielen dieser Bereiche selbstverständlich, und mich kann nur Weniges irritieren. Sexualität hat für mich etwas Spielerisches, und ich habe Sex mit großer Selbstverständlichkeit, ohne es immer ganz ernst zu nehmen. Das kann andere Menschen enorm irritieren.

Gerade bin ich mal wieder in einer Situation, in der ich mir überlegen muss, wieviel ich von mir und meinem Leben erzählen möchte. Wenn ich mich Menschen verbunden fühle, kommt irgendwann der Punkt, an dem ich mir überlegen muss, ob ich die Begegnung fortführen kann, ohne von meinem Umgang mit Sexualität zu erzählen und dem großen Stellenwert, den das Thema in meinem Leben hat, oder ob das Verschweigen dieses Teils meines Lebens dazu führt, dass die Begegnung immer an der Oberfläche bleibt, derjenige mich nie wirklich kennenlernt und es sich irgendwann unecht anfühlt.

Ich habe die Entscheidung schon in beide Richtungen getroffen, und häufig bewege ich mich irgendwo in der Mitte. Haben Menschen überhaupt ein Recht darauf, das von mir zu wissen? Manche Menschen fühlen sich betrogen, wenn ich es verschweige und sie später durch Zufall darüber stolpern. Bei Affären oder gar Partnern (also Menschen mit denen ich privat Sexualität teile) mag das richtig sein. Bei platonischen Freunden finde ich nicht, dass ich verpflichtet bin, das von mir zu erzählen.

Bisher bin ich zum Glück nur selten komplett abgelehnt worden, wenn ich von diesem Teil meines Lebens erzählt habe. Meist begegne ich vorsichtiger Neugier, oder auch mal Zurückhaltung und „ich will es lieber nicht so genau wissen“. Beides ist okay für mich, und ich kann von dort aus weitermachen und den Fokus wieder auf andere Dinge richten.

Musikgeschmack

„Music is sex“, heißt es manchmal, und ich stimme dem zu: Musik kann wahnsinnig erotisch sein und beeinflusst in jedem Fall die Stimmung. So ist die Frage, was für Musik ich bei einem Treffen spiele, auch häufig nicht ganz unbedeutend.

Mein eigenes Musikgeschmack ist relativ breit gefächert, aber auch häufig etwas beliebig. Ich höre etwas Neues oder denke an Musik von früher, und dann höre ich diese Musik für einige Tage oder Wochen, bevor mir etwas Anderes begegnet.

Für Musik bei Treffen gibt es zwei unterschiedliche Strategien: Ich stimme die Musik entweder auf die Stimmung ab, die ich bei dem Treffen erzeugen möchte, oder auf meine eigene Stimmung an dem Tag. Beides beeinflusst sich gegenseitig.

In dem Studio, in dem ich einige Jahre gearbeitet habe, gab es im SM-Raum eine eigene Musik – perfekt auf die Stimmung abgestimmt, sie nahm jeden sofort mit in diese düster-erotische Welt. Nur: irgendwann konnten wir Frauen dort die immer selbe Platte einfach nicht mehr hören!

In meinem Zimmer jetzt läuft häufig Kuschelrock, keltische Klänge oder sanfte Ambient-Musik. Ab und zu spiele ich noch die Yoga-Musik, die ich früher bei Tantra-Massagen genutzt habe. Reine Instrumental-Entspannungs-Musik nur noch sehr selten, das trägt mich zu wenig. Ab und zu spiele ich mal ein Album eines Künstlers, der mich gerade beschäftigt (solange es ruhig genug ist).

Ab und zu treten auch Kunden mit Musikwünsche an mich heran. 80er-Musik ist ziemlich beliebt. Ich habe aber auch schon zu einer keltischen Musik massiert, zu Opern oder sogar mal zu Heavy Metall.

Selbstexperiment Atem

Eines der ersten Dinge, die ich in meiner Tantra-Ausbildung vor vielen Jahren gelernt habe, sind die drei Schlüssel zur Lust: Atem, Stimme und Bewegung. Es ist schwierig bis unmöglich, Lust und Ekstase im Körper wirklich zu spüren und auszuleben, wenn man seinen Gefühlen nicht Ausdruck verleiht – über heftigeres Atmen, über Töne und über Bewegungen.

Im Yoga beschäftigen wir uns sehr viel mit dem Atem. Ich praktiziere schon seit vielen Jahren bestimmte Atemübungen, die die Stimmungen im Laufe des Tages beeinflussen und die Energie anheben. Seit 1,5 Jahren achte ich vermehrt darauf, nicht durch den Mund zu atmen, sondern ausschließlich durch die Nase. In meinen Yogastunden gelingt mir das häufig, aber es kostet viel Konzentration.

In einem Buch habe ich jetzt gelesen, dass man versuchen kann, die Lippen zuzukleben, um die Mundatmung zu unterbinden und so den Körper umzugewöhnen. Das versuche ich jetzt abends wenn ich zu Hause bin und nachts im Bett. Vor ein paar Tagen lag ich also abends im Bett, den Mund mit einem Klebeband verschlossen, und spielte noch auf meinem Tab herum.

Aus einer Laune heraus startete ich einen erotischen Film und griff dabei nach meinem Vibrator. Das ist ein häufiges Einschlaf-Ritual von mir; ein Orgasmus hilft mir meist beim Einschlafen, wenn ich noch unruhig bin. Doch diesmal fiel es mir schwer. Zuerst verstand ich nicht, wieso mein Körper nicht wie gewohnt reagierte. Es ist ja nicht so, dass ich laut stöhne, wenn ich mit mir alleine bin. Und doch sind es viele kleine, fast unbewusste Dinge, die meiner Lust Ausdruck verleihen: ein Zurücknehmen des Kopfes, ein verstärktes Ausatmen, ein Beben der Lippen – alles Dinge, die ich durch das Klebeband unterbunden hatte.

Ich habe es trotzdem zu einem Orgasmus geschafft, und beim nächsten Mal werde ich daran denken, das Klebeband vorher zu entfernen. Für mich war das aber eine total spannende Beobachtung, wie so etwas kleines wie Atem, Stimme, Bewegung, das mit absolut selbstverständlich geworden ist und über das ich schon seit Jahren nicht mehr nachgedacht habe, doch das ganze Lustgeschehen beeinflusst. Eine sinnvolle Erinnerung!

Was sagt denn dein Freund dazu

In den letzten Wochen hatte ich wieder ein paar Gespräche mit Kunden, die sich überhaupt nicht vorstellen konnten, dass ich privat in einer Beziehung lebe bzw dass es Männer gibt, die es tolerieren, dass ihre Partnerin Sexarbeiterin ist. Kleiner Hinweis: Die Anzahl der Sexarbeiterinnen, die in einer festen Beziehung leben, ist wohl genauso hoch wie die Zahl der Kunden, die verheiratet sind.

Erst mal finde ich es ziemlich eng gedacht oder sogar sexistisch, wenn ein Mann zwar selber zu einer Sexarbeiterin geht, diese Frau dann aber im Privatleben unter „geht gar nicht“ fällt. Andererseits ist es halt auch kein „Job wie jeder andere“, sondern hat großen Einfluss auf meinen Sexualität, was sich auch in meinem Privatleben zeigt (sowohl positiv als auch negativ).

Mit Anfang zwanzig, als ich noch relativ neu in der Sexarbeit war, konnte auch ich mir nur schlecht vorstellen, dass sich diese Tätigkeit mit einer festen Beziehung vereinbaren lässt und/ oder dass es Männer gibt, die das akzeptieren. Da war ich insgesamt noch viel schambehafteter, nicht nur was Sexarbeit anging, sondern auch was generell meine Promiskuität betraf.

Einige Male habe ich für einen Mann (bzw für die Möglichkeit auf eine Beziehung) den Job hingeworfen – und es jedesmal innerhalb von kurzer Zeit bereut und dann damit die Beziehung belastet. Mit Ende zwanzig begegnete ich zum ersten Mal dem Begriff Polyamory und begann mich damit zu beschäftigen, dass Beziehungen auch eng und verbindlich sein können, ohne zwangsläufig monogam zu sein.

In den letzten zwölf Jahren habe ich in längeren, engen Beziehungen gelebt (drei Beziehungen von 3 Jahren, 6 Jahren und 2,5 Jahren Dauer), in denen ich jeweils von Anfang an gesagt habe, dass ich keine Verprechen auf sexuelle Exklusivität gebe, wohl aber auf Priorisierung und klare Absprachen. Das hat wunderbar funktioniert und meine Arbeit war in keiner dieser Beziehungen ein übermäßiges Thema.

Nach einer (friedlichen) Trennung im Frühjahr 2022 hatte ich mich eigentlich auf eine längere Phase gefreut, in der ich meinen Alltag allein gestalte. Seit dem Spätsommer gibt es jedoch wieder einen Mann in meinem Leben, der mehr und mehr Einfluss darauf hat – und der meine Arbeit sehr skeptisch betrachtet. Im Moment ist es für mich ein spannender Prozess zu erforschen, wie weit wir uns aufeinander einlassen und die Ansichten des anderen respektieren oder zumindest tolerieren können…

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