Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Kategorie: Sexarbeiter-Welt (Seite 2 von 7)

Gedanken zum Thema Sexarbeit in Gesesllschaft und Politik

(No) Party Girl

Als ich mich gerade neu bei kaufmich angemeldet hatte (2015), bekam ich einen Anruf von einem Mann, der mir jede Menge Fragen über meine Erfahrung, Einstellung, Hintergrund etc stellte. Heute würde ich so ein Gespräch wohl sehr schnell beenden mit dem Hinweis, dass ihn das wohl kaum etwas angeht. Damals habe ich viele der Fragen beantwortet.

Eine dieser Fragen war: „Bist du denn auch ein Party Girl?“ Ich kam etwas ins stottern und sagte irgendwas in die Richtung, dass ich zwar gerne tanze, aber eigentlich nicht mehr viel weggehe. Erst später habe ich gelernt, dass Party Girl ein Code war und er eigentlich etwas über meine Einstellung zu Alkohol und Drogen wissen wollte.

Für einige junge Frauen und auch für eine bestimmte Art von Kunden gehört das zum Lebensgefühl im Business: Weggehen, Trinken, Feiern, Drogen – manche nennen es Hedonismus, ich würde Exzess sagen. Und dann halt Sex: wild, ausschweifend, hemmungslos.

Wenn ich mir Mühe gebe, könnte ich die Male in meinem Leben, die ich betrunken war, wohl noch zählen. Wenn ich tanzen gegangen bin, war mir das immer Rausch genug, auch ohne Alkohol. Auch meine Drogenerfahrungen sind quasi nicht-existent. Meine Sexualität hat sich in den letzten 15 Jahren (seitdem ich Tantra mache) in eine völlig andere Richtung entwickelt: Ich lege Wert auf Achtsamkeit, Langsamkeit, ein sehr genaues Hinspüren und Eingehen auf den Gegenüber. Das kann auch mal leidenschaftlich werden, aber Intensität ist mir wichtiger als Exzess und Rausch.

Also nein, ich bin wohl kein Party Girl.

Anmeldung nach ProstSchG

Seit 2017 gibt es in Deutschland das Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG), das eine Anmeldung aller Sexarbeiterinnen und Bordellbetriebe verlangt. Die Anmeldung muss alle zwei Jahre verlängert werden, die gleichzeitig vorgeschriebene Gesundheitsberatung jedes Jahr. Bei mir war es jetzt mal wieder so weit. Von der Gesundheitsberatung habe ich ja vor zwei Wochen schon berichtet, hier jetzt ein paar Worte zur Anmeldung bei der zuständigen Behörde FA-BEA* Pro.

Ich war jetzt zum dritten Mal bei dieser Anmeldung. Beim ersten Mal hatte ich eine frisch geschulte Mitarbeiterin, die mir ausgiebig erzählte, was sie über Sicherheitsvorkehrungen in Bordellen und beim Escort gelernt hatte – ohne wohl jemals wirklich Berührung mit dem Thema gehabt zu haben. Beim zweiten Mal (mitten im Corona-Lockdown) war es ein reiner Verwaltungsakt, bei dem meine Daten aufgenommen und meine Papiere auf aktuellen Stand gebracht wurden.

Auch diesmal war es eher eine Formalie. Natürlich wurde mir angeboten, dass ich Fragen stellen könne, zu Sicherheit und Rechten in der Sexarbeit. Dann wurde auf die Kondompflicht hingewiesen und die Pflicht zur steuerlichen Anmeldung. Und da wurde es für mich kontrovers: Bei Einführung des ProstSchG wurde großer Wert darauf gelegt, dass die in der Fachstelle erhoben Daten nicht an andere Stellen weitergegeben würden.

Diesmal sagte mir der Mitarbeiter, dass die Daten automatisch gelöscht würden, wenn meine Anmeldung seit mehr als drei Monaten abgelaufen sei (war sie nicht). Ich war etwas überrascht, denn beim letzten Mal wurde mir gesagt, ich müsse mich aktiv abmelden, wenn ich mal aufhören würde. Als ich das anmerkte, sagte er: ja, wenn ich irgendwann mittendrin aufhöre – aber auch sonst macht es Sinn, da die Abmeldung an die Steuerbehörde weitergegeben wird. Ach – und die Anmeldung dann auch?!

Beim Rausgehen drückte er mir noch ein Kondom in die Hand, auf dessen Verpackung stand: „50.000 Euro gespart“, bezugnehmend auf die Kondompflicht (§32 ProstSchG) und das drohende Bußgeld bei Zuwiderhandlung (§33 ProstSchG). Mich würde interessieren, ob es da in den letzten fünf Jahren Anzeigen gab… kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.

Als ich noch im Studio gearbeitet habe, musste ich dort die Anmeldung vorlegen. Seit ich alleine arbeite, hat mich niemand mehr danach gefragt, und ich bezweifle auch, dass das jemals der Fall sein wird. Die Anmeldebescheinigung darf nämlich weder von Kunden noch von der Polizei verlangt werden, sondern nur von Mitarbeitern der FA-BEA* Pro – die Wahrscheinlichkeit einer Kontrolle als Einzelperson ist da so gut wie nicht existent.

Gesundheitsberatung?

November ist der Monat, in dem ich mich seit einigen Jahren um meine Anmeldung nach Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG) und um die damit einhergehende Gesundheitsberatung kümmern muss. Montag war es soweit, ich hatte meinen Termin zur Gesundheitsberatung – und habe mich mal wieder ausgiebig darüber geärgert!

Es fängt schon damit an, dass die Beratung nicht jemandem mit medizinischem Hintergrund durchgeführt wird, sondern von Sozialarbeiterinnen. Diese waren bis jetzt alle sehr jung und schienen mir nicht besonders vertraut mit dem Thema zu sein (über das hinaus, was man sich in kurzer Zeit anlesen kann). Sie sind in der Lage, eine grundsätzliche Einführung zum Thema zu geben und ansonsten an kompetentere Stellen zu verweisen. Und sie können an weiterführende soziale Beratungsstellen verweisen, was wohl ein wichtigerer Aspekt dieser Treffen sind.

In den letzten Jahren erlebe ich es so, dass die Beraterinnen auch darauf ausgerichtet sind, diesen Pflichttermin für die Sexarbeiterinnen möglichst schnell zum Abschluss zu bringen. Ich kann also auch einfach sagen: „Ich habe keinen Beratungsbedarf.“, dann bekomme ich die Bescheinigung und gut. Diesmal habe ich ein bisschen Smalltalk gemacht, ein bisschen von mir erzählt – und war trotzdem in unter zehn Minuten wieder raus.

Das Gesetz und die damit verbundenen Institutionen sind das perfekte Beispiel für nutzlose Bürokratie! Das Geld könnte man besser für Beratungsstellen ausgeben, die echte Arbeit leisten, wie z.B. das Casa Blanca hier in Hamburg oder die Aidshilfe.

Covering

Ich biete keine Hotel- und Hausbesuche an. Nicht nur aus praktischen Gründen, sondern auch, weil ich mich damit einfach nicht wohl fühle. Ich habe in meiner Laufbahn nur eine handvoll solcher Termine gemacht, relativ am Anfang. Hotels sind noch ein neutraler Boden, aber bei Hausbesuchen verschiebt sich meiner Meinung nach das Gleichgewicht stark zu Ungunsten der besuchenden Frau.

Die Hausbesuche, die ich damals gemacht habe, waren noch über eine Escort-Agentur organisiert. Teilweise hat mich sogar ein Fahrer gefahren und vor der Tür auf mich gewartet. Auf jeden Fall gab es aber ein Sicherheits-Procedere: Ich schickte eine erste Nachricht bevor ich reinging, dann eine zweite Nachricht, wenn drinnen alles in Ordnung war und ich das Geld bekommen hatte, und eine dritte Nachricht nach Ablauf der Zeit, wenn ich wieder vor der Tür stand und mich auf den Heimweg machte. Dazu hatte die Agentur natürlich Namen und Adresse des Kunden.

In den letzten Jahren hat die Verbreitung von Escort-Agenturen stark abgenommen. Mittlerweile organisieren die meisten Frauen ihre Termine selber über Internet und Handy. Das erhöht den Verdienst, aber es fällt halt auch das automatische Sicherheitsnetz der Agentur weg. Es bleibt jeder Frau selbst überlassen, sich ein eigenes Sicherheitsnetz zu schaffen – oder eben auch darauf zu verzichten.

In einem Buch, dass das Verbot von Prostitution via Nordischem Modell propagiert, habe ich folgende Beschreibung eines Paysex-Termins gelesen: „Er wohnt weit draußen. Er werde mich abholen, sagt er. Und dann führen wir zu ihm. Das klingt nicht gut. Mein inneres Alarmsystem klingelt ununterbrochen. […] Irgendwann fahren wir von der Straße ab in einen Wald. Nach zwanzig Minuten Fahrt durch den Wald kommen wir an einem Haus an. Sagte ich „ein Haus“? Es ist ein verdammter Hochsicherheitstrakt. Mir gehen fast die Augen über, als wir ankommen. Um das ganze Gelände, auf dem seine Firma und sein Haus stehen, ist eine Mauer. Darüber Stacheldraht. Das Sicherheitstor geht auf, wir fahren durch. Ich werfe einen kurzen Blick auf mein Handy – ich habe keinen Empfang mehr.“

Ich bin absolut gegen Victim Blaming, aber bei dieser Beschreibung wird mir schlecht, und zwar nicht nur wegen des Verhaltens des Kunden (der es eindeutig darauf anlegt, sich machtvoll zu fühlen und ihr Angst zu machen), sondern auch angesichts der Naivität dieser Sexarbeiterin. Regel Nummer ein: mit eigenem Auto oder Taxi zum Termin fahren (man kann mit dem Kunden ein Fahrgeld aushandeln). Und dann beim Betreten des Hauses sicherstellen, dass man weiß wo die Ausgänge sind und das diese unverschlossen sind.

Vor einigen Wochen hatte ich ein privates Date in einem Stadtteil von Hamburg, in dem ich mich nicht gut auskenne. Wir wollten essen gehen und es war mir wichtig, ihn das Restaurant auswählen zu lassen. Das führte jedoch dazu, dass ich Probleme mit der ÖPNV-Verbindung bekam, da in Hamburg zur Zeit einige Bahnlinien komplett gesperrt sind. Er bot an, mich von der Bahn abzuholen – eigentlich ein NoGo bei einem ersten Date. Ich habe das gelöst, indem ich einen Freund gebeten habe, mich zu covern. (Er verbrachte den Abend zu Hause am Schreibtisch und hatte Zeit, sein Handy im Auge zu behalten.)

Ich ließ also den ganzen Abend die Standort-Übertragung auf meinem Handy laufen. Außerdem schickte ich ihm zu verabredeten Zeitpunkten eine kurze Nachricht, dass es mir gut geht und alles in Ordnung ist. Zusätzlich habe ich noch ein Foto des Nummernschilds gemacht und ihm geschickt, bevor ich ins Auto gestiegen bin. Das ist mir nicht unbemerkt gelungen, aber ich habe erklärt, dass ich mich so sicherer fühle, und mein Date hat es mir nicht übel genommen.

Im Endeffekt muss jede Frau einen eigenen Weg finden, um sich sicher zu fühlen. Absolute Sicherheit gibt es nicht, aber es macht schon Sinn, sich ab und zu Gedanken darüber zu machen, welche Risiken es gibt und wie man die minimieren kann.

Verantwortung des Kunden

Anfang der Woche hatte ich einen Termin, der mich sprach- und ratlos zurückgelassen hat. Gar nicht mal der Termin selber, da war alles okay. Sondern das Gespräch danach.

Wir sprachen über kaufmich und über die Erfahrungen, die man so mit Paysex-Dates gemacht hatte. Über gegenseitiges Mißtrauen und versetzte Dates, aber auch über Dinge die gut gelaufen sind. Er schien beruflich viel unterwegs zu sein und in unterschiedlichen Städten Dates zu machen.

Er erzählte dann, dass er in Berlin häufig über Escort-Agenturen Dates buchen würde. Ich war etwas überrascht, denn ich hatte Escort-Agenturen für ausgestorben gehalten, seit jede Frau mit dem Handy übers Internet eigene Termine machen konnte, bzw Escort-Agenturen kannte ich nur noch aus dem absoluten High Class-Bereich.

Doch das meinte er nicht. In Berlin gibt es Agenturen, wo man einfach per SMS eine Frau aufs Hotelzimmer bestellen könne (so wie eine Pizza). Meist kämen dann Bulgarinnen, die kein Wort Deutsch sprächen. Er beklagte sich dann, dass das generell okay sei, er aber auch schon Frauen „gehabt“ hätte, die eindeutig nicht hätten da sein wollen, keinerlei Service/ Motivation an den Tag legten und in einigen Fällen sogar betrunken und/ oder unter Drogen gewesen wären. In solchen Fällen hätte er sich natürlich im Nachhinein bei der Agentur beschwert!

Zu diesem Zeitpunkt war ich nur noch sprachlos und dann froh, als er gegangen ist. Auf der politischen Schiene kämpfen wir selbstbestimmte Sexarbeiterinnen ständig für unsere Arbeit und auch gegen das Stigma, dem auch die Kunden ausgesetzt sind. Die Argumentation der Prostitutionsgegnerinnen ist ja, dass das meiste Menschenhandel/ Zwangsprostitution ist und alle Freier Gewalttäter. Ich habe immer argumentiert, dass keiner meiner Kunden jemals so mit einer Frau Sex haben würde.

Jetzt komme ich mir naiv vor und mein Weltbild ist ein wenig ins Wanken geraten. Vielleicht bewege ich mich wirklich zu sehr in meiner Blase und verstelle mir damit den Blick auf eine unschöne Realität, die es auch gibt.

Die Wand

Es handelt sich hier um eine allgemeine Betrachtung, nicht um etwas was mich aktuell betrifft.

Ich glaube, dass es keine Sexarbeiterin gibt, die das noch nie in ihrer Laufbahn erlebt hat: den Moment, wo man plötzlich das Gefühl hat, vor eine Wand zu laufen. Plötzlich geht gar nichts mehr. Es passiert morgens beim Aufstehen, oder auch mitten am Arbeitstag im Bordell. Der einzige vorherrschende Gedanke ist plötzlich: „Ich kann das nicht mehr; ich kann da jetzt nicht reingehen.“

Früher habe ich solche Momente als Zeichen gewertet, dass Prostitution halt doch „kein Job wie jeder andere ist“, sondern in irgendeiner Form übergriffig oder traumatisierend (also so, wie es Prostitutionsgegner immer behaupten). Heute sehe ich das differenzierter.

Sexarbeit ist enorm fordernd, im körperlichen Sinne, aber vor allem emotional. Es ist ein ständiges Spiel mit Grenzen, und Übergriffe lassen sich nie zu 100% verhindern. Im Laufe der Jahre kann eine Sexarbeiterin lernen, ihre Kunden präziser auszuwählen und Grenzen klarer zu setzen. Trotzdem wird es immer wieder Vorfälle geben, die „unter die Haut“ gehen.

Hinzu kommt, dass gerade die Sexarbeiterinnen in Bordellen meist sehr viel Zeit dort verbringen. 10-12 Stunden am Tag oder länger sind normal. Work-Life-Balance wird in freien Tagen gesehen, und wenn es nicht gut läuft, fallen die auch schnell mal aus.

In anderen Berufen nennt man es wohl Burnout. Aus den letzten Jahren kennen wir alle die romantisierten Bilder aus Krankenhäusern von Ärzten oder Pflegepersonal, die zusammengesunken vor einer Wand sitzen.

Im Endeffekt bleibt in dieser Situation nur eins zu tun: nach Hause gehen. Urlaub machen. Sich Zeit nehmen für sich selbst – ausschlafen, entspannen, zur Ruhe kommen. Im Idealfall merkt man es beim nächsten Mal ein paar Tage vorher, wenn es zu viel wird – bevor man wieder vor der Wand steht.

Häufig dauert es aber einige solcher „Zyklen“, um die Mechanismen zu verstehen und sich besser zu regulieren. Es gibt durchaus auch Sexarbeiterinnen, die in einer solchen Situation den Job ganz an den Nagel gehängt haben, ohne zurückzusehen. Vielleicht sind sie danach in einem anderen Job glücklicher geworden, der weniger belastend ist.

Schwarz-Weiß-Denken

Ich bin viel auf Facebook unterwegs. Dort teilen sich die Beiträge über Sexarbeit in zwei Kategorien: die der Prostitutionsgegner, für die alle Frauen Opfer und alle Kunden Täter sind und die sich für das Nordische Modell einsetzen, und die aus dem Umkreis des Berufsverbandes (und Vereinen wie Donna Carmen u.a.), die Sexarbeit als Traumjob propagieren und die Wichtigkeit für die Gesellschaft betonen. Der Graben zwischen diesen beiden Fraktionen ist tief und unüberwindbar.

Generell ordne ich mich eher der zweiten Fraktion zu, schon allein weil ich mich in den Geschichten der Prostitutionsgegner (in denen es meist um irgendeine Form von Zwang geht) so gar nicht wiederfinde. Trotzdem fühlt sich diese uneingeschränkte Positivität manchmal falsch an.

Ich bewege mich seit fast 25 Jahren in der Sexarbeit, allerdings nur relativ wenig in Bordellen. Ich behaupte also nicht, alles gesehen zu haben, zu kennen und die Gesamtsituation beurteilen zu können. Allerdings habe ich in den Jahren keine Frau getroffen, die nicht freiwillig in die Sexarbeit gegangen ist. Manche waren da nicht glücklich mit und hätten gerne wieder aufgehört, haben aber noch den für sie richtigen Weg in den Ausstieg gesucht. Für viele war es einfach eine Arbeit, die ihnen mehr Geld und Freiheiten bot als andere Tätigkeiten, die ihnen offenstanden.

Sexarbeit erfordert von Seiten der Anbieterin viel Klarheit, ein gewisses Maß an Nüchternheit und klare Grenzen. Außerdem ist eine gesunde Work-Life-Balance wichtig, die leider in sehr vielen Fällen fehlt. Insgesamt ist es eine anstrengende, oft emotionale Tätigkeit – und ja, sie kann auch traumatisieren. Dasselbe gilt aber für viele andere Tätigkeiten auch, z.B. Polizisten, Pflegekräfte, Sozialarbeiter etc.

Ich würde mir einfach mehr Bewusstheit für die schwierigen Seiten dieser Arbeit wünschen, und Angebote um zu lernen wie man damit umgeht. Dann könnte ich auch die schönen Seiten und Vorteile betonen. Nichts im Leben ist nur Schwarz oder Weiß, erst recht nicht eine so umstrittene Tätigkeit wie Sexarbeit.

(Diese Bewusstheit fehlt übrigens nicht nur Außenstehenden, sondern häufig auch den Betroffenen selbst. Siehe dazu meinen Beitrag „Die Wand“, den ich in ein paar Tagen hier veröffentlichen werde.)

Huschke Mau

In dieser Woche habe ich schon zwei Mal mit Freunden darüber diskutiert, ob es Sinn macht, manchen Menschen Aufmerksamkeit zu geben oder ob man sie am besten ignoriert. Konkret geht es um Huschke Mau. Sie hat sich in den letzten Jahren zu einem der Gesichter der Prostitutionsgegner in Deutschland gemacht und tingelt damit durch diverse Medien. Sie hat eine Organisation gegründet, die Frauen beim Ausstieg hilft (Netzwerk Ella) und setzt sich für das Nordische Model ein.

Ich habe vor einigen Jahren einen Text von ihr gelesen, der „Wiedereinstiegsgedankenkreisel“ hieß (damals hatte ich ihren Namen noch nie gehört). In diesem Text fand ich viele meiner eigenen Gedanken und Verhaltensweisen wieder, wenn auch überspitzt. Seitdem folge ich ihr bei Facebook und lese immer wieder Texte von ihr – mit immer weniger Spaß, denn in ihren Augen sind Freier grundsätzlich gewaltbereite Täter und Frauen immer Opfer.

Vor kurzem hat sie eine Talkshow verlassen, weil die anderen Teilnehmer nicht bereit waren, ihren Standpunkt zu teilen. Im Nachhinein regte sie sich dann darüber auf, dass sie als „Ex-Prostituierte“ bezeichnet worden war – sie sei doch mittlerweile Doktorantin und hätte viel mehr erreicht. Sie sitzt aber in dieser Talkshow und beruft sich auf ihre Geschichte und vergleichbare Schicksale, wenig auf die diversen Daten und Meinungen, die es zu dem Thema gibt. Wenn sie die Rolle so klar annimmt, warum wehrt sie sich dann im Nachhinein dagegen?!

Huschke Mau hat eine Vergangenheit voller Gewalt, beginnend mit einem gewalttätigen Elternhaus, aus dem sie mit 17 flieht. Das ist eine tragische Geschichte, aber gleichzeitig keine typische. Die Frauen, die ich in der Sexarbeit kennengelernt habe, hatten sehr unterschiedliche Geschichten und Beweggründe – die wenigsten davon waren so dramatisch wie die von Huschke Mau.

Wenn ich Gedanken zu Huschke Mau und ihren Thesen formuliere, komme ich mir vor, als wollte ich einem Opfer häuslicher Gewalt von meiner glücklichen Beziehung erzählen. Die Erfahrungswelten sind so weit auseinander, dass sich einfach kein gemeinsamer Nenner finden lässt. Theoretisch redet man über dasselbe (über Beziehungen bzw über Sexarbeit), aber vergleichbar ist es doch überhaupt nicht.

Letztes Jahr hat Huschke Mau ein Buch herausgebracht, dem sie den Titel „Entmenschlicht“ gegeben hat. Es lag einige Monate ungelesen in meinem Regal, und jetzt habe ich mich dazu durchgerungen, es zu lesen. Es macht keinen Spaß, aber ich finde es wichtig, auch in diese Seite der Diskussion einen Einblick zu haben. Buchbesprechung folgt, wenn ich es durch geschafft habe.

Prostitution als der einfachste Weg

Vor vielen Jahren habe ich mal in einem Buch folgende Aussage gelesen: „Frauen, die sich prostituieren, gehen den einfachsten Weg. Sie sind nicht bereit, sich den Problemen in ihrem Leben zu stellen und nach anderen Lösungen zu suchen.“ Damals habe ich mich über diese Aufgabe furchtbar aufgeregt; wer wird schon gerne als jemand gesehen, der sich dem Leben nicht richtig stellt?! Mittlerweile denke ich, dass in der Aussage doch etwas Wahrheit steckt.

Den meisten Menschen ist bewusst, dass Prostitution keine einfache Tätigkeit ist, sondern viel emotionale Stärke und Selbstsicherheit braucht. Trotzdem fangen einige Frauen ziemlich naiv mit Sexarbeit an, mit Gedanken wie „Ich kann das ja mal ausprobieren.“ Das ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt von Prostitution: man kann relativ schnell und einfach einsteigen. (Theoretisch kann man genauso schnell und einfach wieder aussteigen. Warum das in der Praxis selten klappt, ist ein Thema für einen anderen Blog.)

Ich habe auch so angefangen. Nur nebenbei, eine handvoll Termine, dann habe ich erst mal wieder aufgehört. Selbst als ich später fünf Tage die Woche in einem Club gearbeitet habe, war das irgendwie „nebenbei“ und relativ locker. In manchen Bordellen gibt es nicht einmal Schichtpläne, sondern die Frauen können kommen und gehen wie sie wollen; wer da ist verdient Geld, wer nicht da ist eben nicht. Bei welcher anderen Tätigkeit gibt es diese Möglichkeit?

Das Problem dabei ist, dass man sich an diese Freiheit gewöhnt. Es wird einfach, nur so in den Tag hinein zu leben. Man arbeitet bis man genug Geld verdient hat, dann macht man frei bis man wieder Geld braucht. Keine Planung notwendig, man kann voll im Moment leben. Der Verdienst in der Prostitution ist meist hoch genug, dass das funktioniert, solange man den eigenen Lebensstandard nicht zu hoch schraubt (was manchen Anfängerinnen schwer fällt).

Wenn man einer normalen, angestellten Arbeit nachgeht, ist nicht nur ein hohes Maß an Disziplin und Zuverlässigkeit nötig (und vorab ein Bewerbungsprozess), sondern man muss auch seine Finanzen planen, da es halt nur ein Mal im Monat Gehalt gibt. Für viele Menschen mag diese Feststellung lächerlich klingen, da sie schon im frühen Erwachsenenalter gelernt haben, mit Geld umzugehen. Prostituierten fehlt diese Fähigkeit häufig. Sie sprechen von „Handgeld“ als das Geld, was sie für tägliche Ausgaben brauchen, und haben manchmal jemanden anders, der sich um den ganzen anderen Kram kümmert. (Auch das Zuhälter-Thema braucht einen eigenen Blog.) Viele Prostituierte leben sehr in den Tag hinein, gerade wenn sie jung sind.

Von dieser Perspektive aus betrachtet ist Prostitution durchaus der einfachste Weg – der leider auch in eine Sackgasse führen kann, wenn man sich auf diese Einfachheit verlässt und nicht irgendwann anfängt, Pläne für den Rest des Lebens zu machen.

Flüchtlinge und Zwangsprostitution

Bei den Flüchtlingen aus der Ukraine handelt es sich, im Gegensatz zur Flüchtlingswelle 2015, überwiegend um Frauen und Kinder. Vielen wird von Privatpersonen Hilfe angeboten, in Form von privaten Unterkünften, Hilfestellung bei Wohnungssuche, Anträgen, Kleidung und Gebrauchsgegenstände, etc. Die überwiegende Anzahl dieser Hilfsangebote ist zweifelsohne selbstlos, einfach ausgelöst durch das Leid direkt vor unserer Haustür.

In der letzten Woche gibt es aber auch Stimmen von Flüchtlingsorganisationen und -helfern, die geflüchtete Frauen zu mehr Vorsicht mahnen. Leider gibt es durchaus auch Menschen, die die Notlage dieser Frauen ausnutzen, um „Gefälligkeiten“ zu erzwingen oder Abhängigkeiten herzustellen. In diesem Zusammenhang steht auch schnell das Wort „Zwangsprostitution“ im Raum.

Für mich ist Zwangsprostitution ein schwieriges Thema. Ich möchte nicht abstreiten, dass es Zwangsprostitution in Deutschland gibt, sowohl in Form von Menschenhandel als auch (viel häufiger) in Form von Ausnutzung von Notlagen und Abhängigkeiten. Andererseits stellen viele Prostitutonsgegner es so hin, als wäre jede Form von Prostitution Zwangsprostitution oder zumindest sehr massiven wirtschaftlichen Zwängen geschuldet. Damit bringen sie mich und jede andere Frau, die dieser Tätigkeit freiwillig nachgeht, in die Position, höchst private und intime Entscheidungen und Geschichten darlegen und rechtfertigen zu müssen. Die Steigerung davon ist es, nicht nur diese Geschichten zu verdrehen, sondern auch die psychische Gesundheit und Entscheidungsfähigkeit von Frauen in der Prostitution in Frage zu stellen.

Ziemlich weit oben auf meinem SUB (Stapel ungelesener Bücher) liegt das Buch „Entmenschlicht“ von Huschke Mau, einer der führenden Prostitutionsgegnerinnen in Deutschland und Verfechterin des „Nordischen Models“. Sie vertritt ziemlich genau die gerade beschriebenen Auffassungen. Im Zusammenhang mit ihrer Geschichte kann ich das nachvollziehen und schätze durchaus auch viele ihrer Texte. Trotzdem finde ich ihren eingleisigen Blick und ihre Kompromisslosigkeit falsch. (Rezession des Buches folgt, sobald ich es gelesen habe.)

Zwangsprostitution und Sexarbeit (als Oberbegriff für freiwillige Prostitution in all ihren unterschiedlichen Aspekten) sind für mich zwei völlig unterschiedliche Dinge – so wie vielleicht der Unterschied zwischen Sklaverei und Lohnarbeit. Das eine gehört zu Recht bekämpft, das andere hat eine Funktion in der Gesellschaft.

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