Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Monat: September 2023

Streicheleinheiten

Letzte Woche hatte ich einen Termin mit jemandem, der zum ersten Mal bei mir war. Geplant war eine schöne Girlfriendsex-Stunde. Wir lagen nebeneinander, und ich fing an ihn zu streicheln. Ließ meine Hände über seinen ganzen Körper gleiten… Nach ein paar Minuten ließ er sich nach hinten sinken, entspannte sichtbar und sagte: „Okay, das reicht. Wir müssen keinen Sex haben. Das war offensichtlich das, was mir fehlte.“ (Spoiler: nein, ich habe nicht den Rest der Stunde nur gestreichelt.)

Für mich war das ein spannendes Erlebnis und eine spannende Erkenntnis. Es spricht sich ja so langsam rum, dass Berührungen zu den menschlichen Grundbedürfnissen gehören und die meisten erwachsenen Menschen viel zu wenig berührt werden. Deswegen sind Massagen so wichtig und werden immer mehr.

Von einer Single-Freundin habe ich mal gehört, dass sie Massageaustausch mit Freundinnen organisiert, um ihren Berührungshunger zu stillen. Ich habe einen guten Freund, mit dem ich auch mal einfach Umarmungen und Nähe austauschen kann, wenn einer von uns das gerade braucht.

Doch nicht nur Singles fehlen Berührungen sondern auch Menschen in Beziehungen. Für Menschen, denen Berührungen in ihrer Beziehung fehlen, ist es sogar fast schwieirger, da jede Art von Berührung mit anderen Menschen häufig als Fremdgehen gewertet wird. Ein (langjährig verheirateter) Freund von mir scherzte vor kurzem: „Dafür haben wir den Hund.“

Männern fällt es zudem immer noch schwerer, nach Berührungen zu fragen, da dies als Schwäche interpretiert wird, was in unserer Gesellschaft immer noch vermieden wird. Daher wächst der Markt für professionelle Angebote. Sexarbeiterinnen waren schon immer auch Ansprechpartner, wenn es einfach um Berührung und Nähe geht. (Auch wenn längst nicht alle das mögen und anbieten.)

Darüber hinaus etablieren sich neben Wellness-Massagen in den letzten Jahrzehnten die Tantra-Massagen und in den letzten Jahren auch die Kuscheltherapie. All das sind gute Möglichkeiten, den Berührungshunger zu stillen und zu seinen Streicheleinheiten zu kommen.

Geschichte: Vorbereitungen

Noch trage ich enge Jeans und einen Kuschelpullover, und aus meinen Kopfhörern klingt Party-Musik, die meine Hüften im schnellen Takt schwingen lässt, während ich mit den Vorbereitungen beginne. Ich habe viel Erfahrung, aber vor manchen Sessions bin ich immer noch aufgeregt. Heute werde ich mich jemandem spielen, den ich noch gar nicht kenne. Alle Vorgespräche sind per Mail gelaufen, und das Spiel verspricht eine Intensität, die nicht unbedingt für Anfänger geeignet ist. Ich hoffe, er weiß, was er sich da gewünscht hat!

Ich baue den Bondage-Rahmen auf, der Stolz meines Spielzimmers, in dem ich ihn frei mitten im Raum fixieren kann. So kann ich mich später um ihn herum bewegen, ihn von allen Seiten berühren, und er ist mir dabei ausgeliefert. Zum Fixieren werde ich Ledermanschetten nutzen, die ich bereitlege. Zur Sicherheit ein paar Seile daneben, auch wenn ich dazu heute wohl nicht die Geduld haben werde. Neben den Rahmen lege ich eine Auswahl an Gerten und Rohrstöcken.

Dann das Bett neu beziehen. Sein zweiter Wunsch: Ich suche aus einer Schublade eine Auswahl an StrapOns. Ich kenne ihn nicht, habe also keine Ahnung mit welcher Größe er klarkommt. Sichergehen, dass auf dem Nachttisch Gleitmittel, Kondome und Handschuhe liegen, und für später vielleicht noch ein Massageöl. Eine Flasche Wasser und Gläser. Alles fertig, jetzt ich.

Ich suche nach Dessous. Darüber ein kurzer Rock und eine Bluse, auf den ersten Blick ziemlich züchtig. Nach einem Blick in den Spiegel kombiniere ich noch halterlose Strümpfe dazu, der Rand verborgen unter dem Rock. Haare lösen und kämmen, bis sie sich um meine Schultern fächern. Ein Blick auf die Uhr, ein letzter Blick durchs Zimmer, das Licht dimmen. Es kann losgehen.

Zeitplanung

Ab und zu kommt es vor, dass jemand nach einem Termin fragt und ich antworte: „Ja, aber spätestens um …“. Daraufhin wird der Termin dann abgelehnt mit dem Argument: „Ich will nicht, dass das zeitlich begrenzt ist/ zeitlich eng wird.“

Erstens: Alle Termine sind zeitlich begrenzt durch die gebuchte Zeit. Ich rechne zusätzlich zu der gebuchten Zeit maximal 30 Minuten für Vorgespräch und vorher und nachher duschen.

Zweitens: Zwischen dem Termine (gebuchte Zeit plus 30 Minuten) und dem nächsten Termin lasse ich mir eine Stunde Zeit, um den Raum aufzuräumen, zu duschen und mich neu vorzubereiten. Diese Zeit dient auch als Puffer, wenn sich ein Kunde verspätet.

Damit ist meine Zeitplanung sehr viel großzügiger als die der meisten Kolleginnen, die Termine im Stundentakt vergeben oder mit 15-30 Minuten dazwischen und für die häufig die gebuchte Zeit auch die gesamte Aufenthaltszeit ist.

Es gibt einen Punkt, an dem ich mich ungerecht behandelt fühle, wenn ein Kunde von mir unbegrenzte Zeit, Aufmerksamkeit und Rücksichtsnahme fordert. Ich liebe das was ich mache, und ich nehme mir gerne Zeit für meine Kunden. Mein Leben besteht aber aus mehr als einem Termin am Tag; selbst wenn ich keine weiteren Termine habe, habe ich meist andere berufliche oder private Verpflichtungen, die mir ebenfalls wichtig sind.

World Sexual Health Day

Am 4. September ist World Sexual Health Day, also der Welttag der sexuellen Gesundheit. Dieser Tag wurde 2010 von der World Association for Sexual Health (WAS) ins Leben gerufen.

Unter sexueller Gesundheit versteht die WAS nicht nur Safer Sex, sondern ein viel breiteres Spektrum: Sexualle Rechte füralle, Gleichheit der Geschlechter, REduzierung von sexueller Gewalt, freier Zugang zu Sex-Bildung, der Kampf gegen sexuelle Krankheiten, Bahndlung sexueller Dysfunktionen etc.

2023 ist das Motto des World Sexual Health Day „Konsens“. Die WAS schreibt dazu: „Einvernehmlichkeit ist ein wesentliches Element jeder gesunden sexuellen Handlung, und wir müssen und selbst und andere darüber aufklären, wassie bedeutet, wie man sie ausdrückt und wie man sie erreicht. Darüber hinaus ist es wichtig, die Autonomie und die Entscheidungen eines jeden in sexuellen Angelegenheiten zu respektieren und zu schätzen, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung und anderen Faktoren.“

kaufmich hat in seinem Magazin einen Artikel über den World Sexual Health Day geschrieben (https://www.kaufmich.com/magazin/community/gesund-mit-kaufmich/?_fromLogin=1), der aber natürlich „Pro Paysex“ geschrieben ist. Gerade über Konsens wird im Bezug auf Paysex ja viel diskutiert: Es gibt eine Fraktion von Menschen, die Konsens im Paysex generell abspricht, und es gibt eine Gruppe Sexarbeiterinnen, die sagen dass nirgendwo Konsens so klar geregelt wird wie im Paysex.

Sowohl Safer Sex und sexuelle Gesundheit als auch Konsens sind Themen, die mich seit vielen Jahren immer wieder beschäftigen und zu denen auch einiges an Gedanken hier im Blog zu finden sind.