Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Kategorie: Über mich (Seite 2 von 6)

Texte über mich, meine Geschichte und meine Einstellung zu Sexarbeit

Selbstexperiment Atem

Eines der ersten Dinge, die ich in meiner Tantra-Ausbildung vor vielen Jahren gelernt habe, sind die drei Schlüssel zur Lust: Atem, Stimme und Bewegung. Es ist schwierig bis unmöglich, Lust und Ekstase im Körper wirklich zu spüren und auszuleben, wenn man seinen Gefühlen nicht Ausdruck verleiht – über heftigeres Atmen, über Töne und über Bewegungen.

Im Yoga beschäftigen wir uns sehr viel mit dem Atem. Ich praktiziere schon seit vielen Jahren bestimmte Atemübungen, die die Stimmungen im Laufe des Tages beeinflussen und die Energie anheben. Seit 1,5 Jahren achte ich vermehrt darauf, nicht durch den Mund zu atmen, sondern ausschließlich durch die Nase. In meinen Yogastunden gelingt mir das häufig, aber es kostet viel Konzentration.

In einem Buch habe ich jetzt gelesen, dass man versuchen kann, die Lippen zuzukleben, um die Mundatmung zu unterbinden und so den Körper umzugewöhnen. Das versuche ich jetzt abends wenn ich zu Hause bin und nachts im Bett. Vor ein paar Tagen lag ich also abends im Bett, den Mund mit einem Klebeband verschlossen, und spielte noch auf meinem Tab herum.

Aus einer Laune heraus startete ich einen erotischen Film und griff dabei nach meinem Vibrator. Das ist ein häufiges Einschlaf-Ritual von mir; ein Orgasmus hilft mir meist beim Einschlafen, wenn ich noch unruhig bin. Doch diesmal fiel es mir schwer. Zuerst verstand ich nicht, wieso mein Körper nicht wie gewohnt reagierte. Es ist ja nicht so, dass ich laut stöhne, wenn ich mit mir alleine bin. Und doch sind es viele kleine, fast unbewusste Dinge, die meiner Lust Ausdruck verleihen: ein Zurücknehmen des Kopfes, ein verstärktes Ausatmen, ein Beben der Lippen – alles Dinge, die ich durch das Klebeband unterbunden hatte.

Ich habe es trotzdem zu einem Orgasmus geschafft, und beim nächsten Mal werde ich daran denken, das Klebeband vorher zu entfernen. Für mich war das aber eine total spannende Beobachtung, wie so etwas kleines wie Atem, Stimme, Bewegung, das mit absolut selbstverständlich geworden ist und über das ich schon seit Jahren nicht mehr nachgedacht habe, doch das ganze Lustgeschehen beeinflusst. Eine sinnvolle Erinnerung!

Was sagt denn dein Freund dazu

In den letzten Wochen hatte ich wieder ein paar Gespräche mit Kunden, die sich überhaupt nicht vorstellen konnten, dass ich privat in einer Beziehung lebe bzw dass es Männer gibt, die es tolerieren, dass ihre Partnerin Sexarbeiterin ist. Kleiner Hinweis: Die Anzahl der Sexarbeiterinnen, die in einer festen Beziehung leben, ist wohl genauso hoch wie die Zahl der Kunden, die verheiratet sind.

Erst mal finde ich es ziemlich eng gedacht oder sogar sexistisch, wenn ein Mann zwar selber zu einer Sexarbeiterin geht, diese Frau dann aber im Privatleben unter „geht gar nicht“ fällt. Andererseits ist es halt auch kein „Job wie jeder andere“, sondern hat großen Einfluss auf meinen Sexualität, was sich auch in meinem Privatleben zeigt (sowohl positiv als auch negativ).

Mit Anfang zwanzig, als ich noch relativ neu in der Sexarbeit war, konnte auch ich mir nur schlecht vorstellen, dass sich diese Tätigkeit mit einer festen Beziehung vereinbaren lässt und/ oder dass es Männer gibt, die das akzeptieren. Da war ich insgesamt noch viel schambehafteter, nicht nur was Sexarbeit anging, sondern auch was generell meine Promiskuität betraf.

Einige Male habe ich für einen Mann (bzw für die Möglichkeit auf eine Beziehung) den Job hingeworfen – und es jedesmal innerhalb von kurzer Zeit bereut und dann damit die Beziehung belastet. Mit Ende zwanzig begegnete ich zum ersten Mal dem Begriff Polyamory und begann mich damit zu beschäftigen, dass Beziehungen auch eng und verbindlich sein können, ohne zwangsläufig monogam zu sein.

In den letzten zwölf Jahren habe ich in längeren, engen Beziehungen gelebt (drei Beziehungen von 3 Jahren, 6 Jahren und 2,5 Jahren Dauer), in denen ich jeweils von Anfang an gesagt habe, dass ich keine Verprechen auf sexuelle Exklusivität gebe, wohl aber auf Priorisierung und klare Absprachen. Das hat wunderbar funktioniert und meine Arbeit war in keiner dieser Beziehungen ein übermäßiges Thema.

Nach einer (friedlichen) Trennung im Frühjahr 2022 hatte ich mich eigentlich auf eine längere Phase gefreut, in der ich meinen Alltag allein gestalte. Seit dem Spätsommer gibt es jedoch wieder einen Mann in meinem Leben, der mehr und mehr Einfluss darauf hat – und der meine Arbeit sehr skeptisch betrachtet. Im Moment ist es für mich ein spannender Prozess zu erforschen, wie weit wir uns aufeinander einlassen und die Ansichten des anderen respektieren oder zumindest tolerieren können…

(No) Party Girl

Als ich mich gerade neu bei kaufmich angemeldet hatte (2015), bekam ich einen Anruf von einem Mann, der mir jede Menge Fragen über meine Erfahrung, Einstellung, Hintergrund etc stellte. Heute würde ich so ein Gespräch wohl sehr schnell beenden mit dem Hinweis, dass ihn das wohl kaum etwas angeht. Damals habe ich viele der Fragen beantwortet.

Eine dieser Fragen war: „Bist du denn auch ein Party Girl?“ Ich kam etwas ins stottern und sagte irgendwas in die Richtung, dass ich zwar gerne tanze, aber eigentlich nicht mehr viel weggehe. Erst später habe ich gelernt, dass Party Girl ein Code war und er eigentlich etwas über meine Einstellung zu Alkohol und Drogen wissen wollte.

Für einige junge Frauen und auch für eine bestimmte Art von Kunden gehört das zum Lebensgefühl im Business: Weggehen, Trinken, Feiern, Drogen – manche nennen es Hedonismus, ich würde Exzess sagen. Und dann halt Sex: wild, ausschweifend, hemmungslos.

Wenn ich mir Mühe gebe, könnte ich die Male in meinem Leben, die ich betrunken war, wohl noch zählen. Wenn ich tanzen gegangen bin, war mir das immer Rausch genug, auch ohne Alkohol. Auch meine Drogenerfahrungen sind quasi nicht-existent. Meine Sexualität hat sich in den letzten 15 Jahren (seitdem ich Tantra mache) in eine völlig andere Richtung entwickelt: Ich lege Wert auf Achtsamkeit, Langsamkeit, ein sehr genaues Hinspüren und Eingehen auf den Gegenüber. Das kann auch mal leidenschaftlich werden, aber Intensität ist mir wichtiger als Exzess und Rausch.

Also nein, ich bin wohl kein Party Girl.

Ausstiegsgedankenkreisel

Als Sexarbeiterin werde ich immer wieder gefragt: „Und wie lange willst du das noch machen?“ – komischerweise nicht nur privat, sondern auch viel von Kunden (die ja eigentlich kein Interesse daran haben, dass ich aufhöre). Mit Mitte 20 habe ich gedacht, dass ich eh mit 30 oder 35 aufhören müsste, da ich dann zu alt für den Markt sei. Nun, ich bin fast 43; die Art meiner Arbeit hat sich geändert, aber ich bin immer noch erfolgreich genug, um davon leben zu können.

Das Problem ist eher, dass ich manchmal denke, dass ich zu zickig für diesen Job werde. Nach so vielen Jahren gibt es einfach viele Dinge, auf die ich keinen Nerv mehr habe, die aber für viele irgendwie dazugehören. Das fängt an mit „Ich kann aber immer nur spontan.“ und geht dann über „Machst du denn auch XYZ [irgendein gesundheitsgefährdender Fetisch oder auch einfach etwas das überhaupt nicht in mein Konzept und zu mir passt].“ bis hin zu all den Männern, die mir einfach ihre Vorstellungen überstülpen und es nicht mal nötig haben, die zehn Zeilen meines Profils zu lesen. Ich habe noch nicht mal mehr die Nerven, freundlich Nein zu sagen, sondern würde am liebsten einfach wortlos auflegen bzw auf Igno drücken.

Schon seit einigen Jahren arbeite ich neben der Sexarbeit mit Yoga und Coaching. Eine Zeit lang hatte ich sogar parallel einen eigenen Praxisraum, der sich aber nie richtig rentiert hat. Ich stecke immer noch sehr viel Herzblut (und auch Zeit und Energie) in meine Sexarbeit, und frage mich immer wieder, ob es mir überhaupt jemals gelingen wird, die gleiche Begeisterung für einen anderen Bereich aufzubringen. Oder ob es mir einfach nur schwerfällt, mich von gewohnten Bahnen zu trennen und mich ganz auf etwas Neues einzulassen.

Seit einigen Wochen erwähnt mein Freund immer mal wieder, dass bei ihm auf dem Firmengelände eine kleine Gewerbefläche frei sei. Ob ich ihm nicht erlauben würde, mir da ein Yogastudio einzurichten? Vor zehn Jahren wäre ich völlig begeistert von der Idee gewesen. Nach den Erfahrungen mit dem Praxisraum traue ich mich nicht richtig. Außerdem fällt es mir schwer, das Angebot anzunehmen; bisher habe ich mir alles in meinem Leben selbst erarbeitet…

Aber dann gibt es noch die Momente, in denen ich an den dicken Ordnern mit Ausbildungszertifikaten denke, der bei mir zu Hause im Regal steht, und daran, wie wenig davon ich wirklich umsetze. Und es erscheint mir wie eine Verschwendung von Zeit, Energie und Begabung, denn: „Immer nur zu lernen und nie zu lernen ist so, als würde man ein Feld ständig pflügen, aber nie etwas aussäen.“ In diesem Sinne bleibt es spannend zu sehen, wie sich das Jahr 2023 für mich entwickeln wird!

Lebenswelten

Seit gestern Abend bin ich zurück von einer Woche bei meiner Familie, und es fühlt sich verdammt gut an, wieder in Hamburg und in meinem eigenen Alltag zu sein. Es sind unter anderem solche Ausflüge, die mir deutlich machen, wie sehr sich mein Leben von dem der meisten Menschen unterscheidet.

Erster Weihnachtstag Nachmittag, großes Familienessen. Die meisten Menschen hier sehe ich nur ein Mal in Jahr, an diesem Tag. Mir gegenüber sitzt ein Cousin mit seiner Frau; sie haben vor zwei Jahren geheiratet und werden im Februar ihr erstes Kind bekommen. Daneben mein Stiefbruder mit seiner Frau und den zwei Kindern. Nach dem Essen sucht er das Gespräch mit mir; wir sprechen über Arbeit – und ich habe das Gefühl, wir reden ziemlich aneinander vorbei.

Meine Eltern wissen, was ich mache, aber sonst halte ich mich da im Familienkreis bedeckt mit. Doch es geht nicht mal darum, was ich mache, sondern um Selbständigkeit versus Angestelltendasein. Mein Arbeitsalltag (und mein Alltag generell) gestaltet sich ganz anders, und die Dinge die mich beschäftigen sind völlig unterschiedlich.

Dann ist da noch die Tatsache, dass viele Menschen in meinem Alter Familie haben, also verheiratet sind, Kinder haben und sich ein festes Lebensumfeld eingerichtet haben. Ich werde bald 43 und werde keine Kinder mehr bekommen. Das gibt mir die Freiheit, mein Leben und meine Beziehungen viel offener zu gestalten.

Meine Lebensrealität ist also sehr weit entfernt von den anderen Menschen meiner Familie. Das kann sich befremdlich anfühlen und mich irritieren. Daher bin ich froh, in meinen Alltag zurückkehren zu können; dort umgebe ich mich mit Menschen, die ähnlich wie ich leben oder mit denen ich anderweitig genug Gemeinsamkeiten habe, dass die Unterschiede nebensächlich werden oder sogar inspirierend wirken können.

Möblierung

Letztens fragte mich mal wieder jemand, warum ich eigentlich kein Bett in mein Arbeitszimmer stellen würde – es wäre doch nicht teuer, einen Raum zu möblieren. Bei der Einrichtung meines Raumes ging es mir nie darum, Geld zu sparen. Das hätte auch nicht geklappt: Der Futon, den ich auf dem Boden liegen habe, war teurer als ein komplettes Bett aus einem durchschnittlichen Möbelkaufhaus.

Ich mag einfach keine Betten! Selbst zum schlafen sind mir die meisten Betten zu weich. Beim Sex nimmt eine federnde Matratze viel von der Bewegung und macht den Kontakt irgendwie schwammig. Noch schlimmer ist es bei Massagen, wo ein Großteil des ausgeübten Drucks in die Matratze abgeleitet wird und demnach eine Massage von Muskeln gar nicht richtig möglich ist, sondern eigentlich nur ein paar Streicheleinheiten.

Mein Futon ist kein klassischer Futon, sondern hat einen Latexkern, der ihn etwas dicker macht, eine harte Dämpfung bietet und zudem den darunterliegenden Boden vor Verdunstungsnässe schützt. Es ist weich genug, dass man entspannt darauf liegen kann, aber gleichzeitig so hart, dass all die oben genannten Nachteile nicht auftreten. Ab und zu habe ich mal einen Gast, für den das Hinsetzen und Aufstehen auf dem Boden ein Problem sind, wenn auch kein unlösbares. Und er ergibt eine 2×2 Meter Spielfläche, von der man nicht runterfallen kann.

Ein letzter Vorteil, warum ich lieber einen Futon nutze als ein Bett, ist, dass der Raum auch anderweitig nutzbar ist. Den Futon kann ich zur Seite rollen und den entstandenen Platz nutzen, um z.B. eine Massagebank aufzustellen, Yogamatten auszurollen, eine Meditation im Sitzen oder in Bewegung zu veranstalten, etc. Der Raum ist ganz auf mich und meine wechselnden Bedürfnisse zugeschnitten, so wie der Rest der Wohnung auch. Irgendwann ist man wohl einfach raus aus dem Alter für Kompromisse und halbherzige Lösungen.

Gespräche

Seit einigen Wochen gibt es einen neuen Mann in meinem Leben. Ich führe schon seit vielen Jahren keine monogamen Beziehungen mehr und kommuniziere das auch sehr klar, wenn ich jemanden kennenlerne. Meine Sexarbeit ist aber immer noch mal ein eigenes Thema, das ich durchaus immer noch schwierig finde. Das fängt schon an bei der Frage: wann erzähle ich davon? So früh wie möglich. Andererseits: wenn das Date sowieso nicht so gut läuft und/ oder es abzusehen ist, dass da nichts längerfristiges draus wird, lege ich eigentlich keinen Wert darauf, dass jemand das von mir weiß.

Diesmal hat es sich ergeben, dass ich schon in den ersten Minuten des Dates davon erzählt habe. Ich hatte kurzfristig noch mal verschoben wegen eines Arbeitstermins, der dann aber doch nicht stattgefunden hat, so dass es bei der ursprünglichen Absprache blieb; seine logische erste Frage war daher: „Was machst du denn beruflich?“, und ich habe aus einem Impuls heraus geantwortet: „Die offizielle Antwort wäre jetzt: Yoga und Massagen. Aber eigentlich mache ich erotische Dates.“ Nach einer kurzen Erklärung ließen wir das Thema erst mal ruhen und sprachen über anderes.

Später sprach er es dann noch mal an: „Erzähl mir doch, wie du das machst mit deinen Dates.“ Wie ich das mache… es ging nicht um die technischen Abläufe, sondern um die Frage, wie ich emotional damit umgehe, wie es sich anfühlt. In mir hatte ich die ganzen unschönen Bilder, die in den Medien von Prostitution gezeichnet werden und die er wohl kannte, und die standen im krassen Gegensatz zu dem Gefühl, dass ich bei meinen Dates habe. Davon erzählte ich dann: von Wohlwollen, von Begegnungen, vom Eingehen auf Bedürfnisse, vom Gefühl etwas geben zu können, dass dem anderen gerade wichtig ist. Von der Fähigkeit, andere Menschen einfach so annehmen und akzeptieren zu können und dabei meine eigenen Vorlieben und Bedürfnisse in den Hintergrund zu stellen.

In den nächsten Wochen war meine Arbeit dann kein Thema mehr, außer was zeitliche Absprachen anging. Ab und zu bat er mich, ihm Bescheid zu sagen, wenn ich mit meinen Terminen fertig war. Beim ersten Mal wies ich ihn darauf hin, dass ich zu über 80% Stammkunden treffe und mich absolut sicher fühle – aber es war wohl nicht das, was ihn beschäftigte. Vorgestern saßen wir abends noch lange im Garten, und er brachte das Thema wieder auf: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich da so wenig Probleme mit habe.“ Er sprach weiter: „Ich würde mir ja wünschen, dass es keine Frauen gibt, die das machen müssen. Aber ohne Zuhälter ist das wohl okay.“ Beide Gedanken sind für mich ziemlich weit weg. Vor allem merke ich, wie sehr ich mich da in einer Welt bewege, die sehr vielen Menschen völlig fremd ist.

Den Gedanken, dass es in einer idealen Welt keine Prostitution gibt, kann ich nachvollziehen – parallel zu dem Gedanken, dass es in einer idealen Welt Dinge wie Armut, Hunger, Einsamkeit etc nicht gibt. In meinen Gedanken bezieht sich das auf beide Seiten: nicht nur, dass es keine Frauen gibt, die das machen, sondern ich wünsche mir auch, dass es keine Männer gibt, für die der Besuch einer Prostituierten nötig ist. Genau davon erzähle ich dann: davon, dass ich zwar Kunden habe, die den Besuch bei mir als Wellness ansehen; dass ich aber genauso viele Kunden habe, die sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht haben, sondern für die dahinter ein langer Weg voll verdrängter Bedürfnisse und Leidensdruck steht – und trotzdem ganz viel Liebe und Respekt für Frau und Familie, in der halt nur einfach die erotischen und körperlichen Wünsche nicht (mehr) erfüllt werden können.

Von Prostitution ging unser Gespräch dann zu BDSM – noch eine Blase, in der ich mich selbstverständlich bewege, die aber vielen Menschen völlig fremd ist. Wie erklärt man Emotionen und Flow, wenn etwas von Außen so hässlich aussehen kann? Ich werde ihn wohl nicht überzeugt haben, genauso wenig wie ich es bei anderen Menschen kann. Aber vielleicht für ein wenig mehr Toleranz geworben.

In einer so engen Begegnung wie mit diesem Mann kann ich solche Gespräche genießen, da sie auch in mir viele Gedanken und Reflektionen auslösen. Generell suche ich solche Gespräche nicht – weil es halt so schwierig ist, etwas zu erklären, was für mich auf einer emotionalen Ebene stattfindet und für mich wenig mit den äußeren Bildern zu tun hat. Vielleicht ist meine Welt einfach zu weit weg von den Erfahrungen, die die meisten anderen Menschen machen…

Selbstbetrug

Ich habe Glück gehabt: Nach knapp fünf Tagen wurde mein Covid-Test am Mittwochabend wieder negativ. Vorsichtshalber habe ich Donnerstag und Freitag noch sehr viel Wert auf Abstand und Maske gelegt, aber jetzt entspanne ich mich langsam wieder. Ich huste noch und merke insgesamt, dass ich krank war, aber das ist jetzt hoffentlich nur noch eine Sache von ein paar Tagen.

Am Wochenende und heute habe ich dann ein paar Dates gehabt. In meinem Alltag stelle ich Dates gerne als Ergänzung dar: als etwas, das ich gerne mache, das aber nicht ganz oben auf meiner Prioritätenliste steht. Wenn ich so wie jetzt eine Zeit lang keine Dates hatte, merke ich immer, dass da eine ganz schöne Menge Selbstbetrug bei ist. Es fehlt mir nämlich!

Es ist mir wichtig, zwischen Paysex-Dates und meiner privaten Sexualität zu unterscheiden. Bei ersterem bin ich Dienstleisterin und zum Großteil auf meinen Gast konzentriert; privat kann ich mich mehr fallen lassen und auch mal meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Trotzdem geben mir auch die Paysex-Dates viel (abgesehen von Geld): Körperkontakt, Nähe, Bestätigung, Gesellschaft… Ich mache genug Dates in der Woche, dass es deutlich eine Lücke nicht nur in meine Zeit, sondern auch in meine Zufriedenheit reißt, wenn ich plötzlich keine Paysex-Dates mehr habe.

Es gelingt mir übrigens nicht, wenige Paysex-Dates durch mehr private Sexualität auszugleichen oder umgekehrt. Wenn ich ganz frisch verliebt bin und völlig auf den neuen Mann in meinem Leben fixiert (was selten vorkommt), kommt es mal vor, dass Paysex-Dates in den Hintergrund treten. Aber generell brauche ich beides in meinem Leben – und fühle den Mangel, wenn mir eins von beidem fehlt.

In diesem Sinne widme ich den morgigen Tag meiner privaten Sexualität und freue mich dann ab Mittwoch wieder auf Paysex-Dates.

Selbstverteidigung

Ich muss mich heute mal aufregen. An sich hatte ich ein sehr ruhiges, schönes Wochenende. Ich hatte keine Dates (war es wohl zu warm für), war dafür viel beim Yoga, hatte einen Reitlehrgang, war Fahrrad fahren und in der Stadt unterwegs. Trotzdem bin ich jetzt am Montagmorgen arg getriggert.

Angefangen hat es mit Nachrichten eines guten Freundes, der sich gerade in einem tiefen Prozess befindet und mich zur Zielscheibe seiner Projektionen macht. Einerseits findet er es toll, wie ich mit Körperlichkeit und Sexualität umgeht, und stellt mich damit auf einen Podest. Anderereseits muss dann eine starke Abgrenzung stattfinden, weil mein Verhalten bei ihm alte Gefühle von Scham und Unzulänglichkeit auslöst. Dieses plötzliche Kippen, verbunden mit einem Rückzug, verletzt mich und triggert meine eigenen Themen.

Der zweite Triggerpunkt war gestern Abend ein Online-Kontakt. Ich bin in einem Forum unterwegs, in dem erotische Geschichten geteilt werden. Gestern entstand um eine Geschichte eine Diskussion über den Begriff „Nutte“ – ob man den überhaupt nutzen dürfe, und wie es gemeint und auf was bezogen wäre. Soweit alles gut. Bis eine Frau, mit der ich an sich einen sehr guten Kontakt habe, einen längeren Beitrag schrieb darüber, wie schlimm Prostitution sei, dass die Frauen ja alles Opfer seien und dringend Hilfe bräuchten – die ganze Klischee-Schiene, auf der die Prostitutionsgegner ständig rumreiten. Ich habe eine kurze Antwort geschrieben und den Rest des Abends vor Wut geschäumt. Dieses Bild wird in der letzten Zeit einfach wieder viel zu sehr verbreitet. Ich frage mich dann immer, ob ich wirklich in so einer Parallelwelt unterwegs bin; ich habe in 20 Jahren zwar durchaus ab und zu Frauen erlebt, die in der Prostitution nicht glücklich waren (generell oder zeitweise), aber keine einzige die es nicht freiwillig gemacht hätte.

Vielleicht hatte ich an diesem Wochenende einfach zu viel Zeit zum Nachdenken und habe diese Geschichten daher zu nah an mich heran gelassen. Auf jeden Fall kämpfe ich gerade mal wieder mit dem Gefühl einfach „falsch“ zu sein – falsch zu leben, falsch zu fühlen, als wären meine Erlebnisse und Gefühle nicht gültig. Die Gesellschaft propagiert halt überwiegend immer noch monogame Beziehungen und Lebensweisen, die auf Ehe und Familie ausgerichtet sind. Ich habe mir Nischen geschaffen, in denen ich Menschen kennenlerne, die das anders leben. Umso schwerer ist es, wenn ich geballt mit diesen unversöhnlichen Ansichten konfrontiert werde.

Unerwünschte Fragen

Es ist für jeden Menschen unterschiedlich, was er über sich und sein Leben erzählen möchte. Manche Kunden würden am liebsten nicht mal ihren Vornamen nennen, während andere mir eine ganze Reihe von Informationen und Erkennungsmerkmalen im Gespräch geben. Auch für jede Sexarbeiterin ist es unterschiedlich, was sie über sich preisgeben möchte – sowohl über ihre Arbeit als auch über ihr Privatleben. Ich bin eigentlich ziemlich offen im Gespräch und erzähle so einiges darüber was ich so mache und erlebe. Auf zwei Themen reagiere ich jedoch empfindlich:

Das erste sind Fragen oder Spekulationen darüber, wie viele Paysex-Dates ich mache und wieviel Geld ich demnach verdiene. Da werde ich immer nur eine ausweichende Antwort drauf geben. Was viel oder wenig ist, sieht jede Sexarbeiterin anders. Es gab Tage im Appartement, da habe ich mich über einen guten Tag gefreut, während die Kollegin über einen schlechten Tag jammerte – obwohl wir die gleiche Anzahl an Terminen hatten. Ich kann von meiner Sexarbeit leben, ohne mich zu überarbeiten; das heißt nicht, dass ich mir keine Gedanken mehr über Geld machen muss oder ein luxuriöses Leben führe. Hinzu kommt, dass die meisten meiner Kunden Angestellte sind und keine Vorstellung davon haben, welche Kosten ich als Selbständige habe (Betriebskosten, Steuern, Versicherungen etc) und dass ich für den Luxus der Selbständigkeit auf Dinge wie bezahlten Urlaub und Krankengeld verzichte. Spekulationen über meinen Verdienst führen also meist zu einem Bild, das nichts mit der Realität zu tun hat.

Das zweite sind Spekulationen über meinen Beziehungsstatus. Einige meiner Kunden gehen automatisch davon aus, dass ich Single bin, da ich „das“ ja sonst nicht machen würde. Das sagt mehr über sie selbst aus als über mich, wenn sie sich nicht vorstellen können, dass ein Mann eine Sexarbeiterin als Partnerin akzeptieren kann. Ich glaube schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr an monogame Beziehungen, weiß aber dass für sehr viele Menschen das immer noch die einzige mögliche Form von Beziehung ist. Wenn mich jemand direkt fragt, ob ich Single bin, macht mich das auch misstrauisch. Warum will er das wissen? Für ein Paysex-Date sollte mein Beziehungsstatus keine Rolle spielen, da ich mich nicht nach einem solchen Date privat mit Kunden treffen würde. Demnach beantworte ich diese Frage auch meist mit „Das geht dich nichts an.“ Last but not least kann sich mein Beziehungsstatus auch immer mal wieder ändern, und mit keinem meiner Kunden bin ich so eng, dass ich ihn über Veränderungen darüber auf dem Laufenden halte, wer gerade in meinem Privatleben eine Rolle spielt. Ich rede durchaus mal über Beziehungen – über Vorstellungen, Erfahrungen, Ideen .- aber das dann eher auf einer allgemeinen Ebene und nicht konkret auf meine momentane Lebenssituation bezogen. Manche meiner Stammkunden wissen, ob ich gerade eine „Hauptbeziehung“ in meinem Privatleben habe oder nicht. Das sind aber genau die, für die dieses Wissen keine Rolle spielt und ich mich demnach frei fühle, davon zu erzählen.

Mir fällt gerade noch etwas drittes ein: Ich rede nur ungern und selten über sexuelle Erlebnisse mit anderen Männern, egal ob im Paysex oder privat. Ich kann mal erzählen, was ich schon erlebt habe oder mir vorstellen kann. Aber ganz konkret von einzelnen Erlebnissen zu berichten, finde ich illoyal und unpassend. (Geschichten hier im Blog sind manchmal an reale Erlebnisse angelehnt, aber dabei geht es mir mehr um die Beschreibung von Stimmungen, so dass ich viele Details ändere.)

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