Traumfrau mit Nebenwirkungen

Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

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Bizzare Session

Manchmal überrasche ich nicht nur meinen Kunden, sondern auch mich selber. So ist es mir am Montag ergangen.

Wer mich ein bisschen länger kennt, weiß, dass ich manchmal ziemlich zickig sein kann. Spontanität zählt so gar nicht zu meinen Stärken, und wenn die Anfrage dann noch über KM kommt statt übers Telefon, fällt meine Antwort schon mal ziemlich unfreundlich aus. Zum Glück ließ er sich nicht davon abschrecken, sondern schrieb noch eine nette Antwort und rief mich dann wie gefordert an.

Jetzt hatte ich also am Montagmorgen, kurz nach meiner Yogastunde, einen Termin für ein erotisches Date. Nicht nur irgendein erotisches Date, mit Soft Sex und Massage, wie ich es in den letzten Monaten bevorzuge, sondern ein Date für bizzare Spiele, bei dem ich dominant sein sollte.

Meist lehne ich solche Termine ab oder mache zumindest sehr deutlich, dass das nicht mein Schwerpunkt ist. Ich bin von meiner Ausstrahlung her nicht dominant. Früher konnte ich das teilweise durch die Studio-Umgebung ausgleichen, aber in meinem kleinen Massage-Zimmer fällt es auf. Hinzu kommt, dass ich auch nicht mehr viel Ausstattung für diesen Bereich habe.

Aber diesmal lief es total gut! Wenn ich in der richtigen Stimmung bin, kann ich durchaus bestimmend und auch sadistisch sein. Kombiniert mit meinem guten Gefühl für Menschen und Stimmungen und meinem Einfühlungsvermögen, kann ich damit in einen richtigen Flow kommen. So war es diesmal. Wir hatten eine Stunde lang eine intensive Session, aus der wir beide strahlend rausgingen.

So starte ich dann doch gerne in die Woche!

Schwarz-Weiß-Denken

Ich bin viel auf Facebook unterwegs. Dort teilen sich die Beiträge über Sexarbeit in zwei Kategorien: die der Prostitutionsgegner, für die alle Frauen Opfer und alle Kunden Täter sind und die sich für das Nordische Modell einsetzen, und die aus dem Umkreis des Berufsverbandes (und Vereinen wie Donna Carmen u.a.), die Sexarbeit als Traumjob propagieren und die Wichtigkeit für die Gesellschaft betonen. Der Graben zwischen diesen beiden Fraktionen ist tief und unüberwindbar.

Generell ordne ich mich eher der zweiten Fraktion zu, schon allein weil ich mich in den Geschichten der Prostitutionsgegner (in denen es meist um irgendeine Form von Zwang geht) so gar nicht wiederfinde. Trotzdem fühlt sich diese uneingeschränkte Positivität manchmal falsch an.

Ich bewege mich seit fast 25 Jahren in der Sexarbeit, allerdings nur relativ wenig in Bordellen. Ich behaupte also nicht, alles gesehen zu haben, zu kennen und die Gesamtsituation beurteilen zu können. Allerdings habe ich in den Jahren keine Frau getroffen, die nicht freiwillig in die Sexarbeit gegangen ist. Manche waren da nicht glücklich mit und hätten gerne wieder aufgehört, haben aber noch den für sie richtigen Weg in den Ausstieg gesucht. Für viele war es einfach eine Arbeit, die ihnen mehr Geld und Freiheiten bot als andere Tätigkeiten, die ihnen offenstanden.

Sexarbeit erfordert von Seiten der Anbieterin viel Klarheit, ein gewisses Maß an Nüchternheit und klare Grenzen. Außerdem ist eine gesunde Work-Life-Balance wichtig, die leider in sehr vielen Fällen fehlt. Insgesamt ist es eine anstrengende, oft emotionale Tätigkeit – und ja, sie kann auch traumatisieren. Dasselbe gilt aber für viele andere Tätigkeiten auch, z.B. Polizisten, Pflegekräfte, Sozialarbeiter etc.

Ich würde mir einfach mehr Bewusstheit für die schwierigen Seiten dieser Arbeit wünschen, und Angebote um zu lernen wie man damit umgeht. Dann könnte ich auch die schönen Seiten und Vorteile betonen. Nichts im Leben ist nur Schwarz oder Weiß, erst recht nicht eine so umstrittene Tätigkeit wie Sexarbeit.

(Diese Bewusstheit fehlt übrigens nicht nur Außenstehenden, sondern häufig auch den Betroffenen selbst. Siehe dazu meinen Beitrag „Die Wand“, den ich in ein paar Tagen hier veröffentlichen werde.)

Geschichte: Sommerhitze

Heute ist der heißeste Tag nicht nur des Jahres, sondern der Wetteraufzeichnung. Zu diesem Anlaß habe ich eine meiner Lieblingsgeschichten rausgesucht, die ich vor einigen Jahren an einem anderen heißen Sommertag geschrieben habe. Viel Spaß damit!


His hands and mouth roamed the landscape of my body, searching out all my secrets, creating future fantasies, and coaxing me into a trembling mess of hot torturous need that only existed for some kind of release.

Der Vormittag ist schon fast vorbei, die Hitze wabert durch die offene Balkontür ins Schlafzimmer, wo ich noch immer nur mit einem langen T-Shirt bekleidet auf dem Bett liege, in die romantischen und erotischen Szenen eines Romans versunken.

Ich bin allein dieses Wochenende, und es fällt mir nicht leicht. Die Hitze stimuliert meine Libido, und der Stress der letzten Wochen verstärkt meine Sehnsucht nach Nähe. Seufzend drehe ich mich auf den Rücken, schiebe meine Beine weiter auseinander, in der Hoffnung mich durch mehr Luft an meinem Körper wohler zu fühlen.

Meine Fingerspitzen streichen meine Haare zurück, spielen mit den zersausten Strähnen. Verträumt schiebe ich mir einen Finger in den Mund, sauge und knabbere an der Fingerspitze und denke daran, wie das seinen Atem an meinem Ohr schneller werden lässt, wenn ich so mit seinen Fingern spiele.

Vorgestern standen wir zusammen an der Alster, sein Arm um meine Taille, zog er mich eng an seinen Körper. Schon da war es warm, unsere Körper schwitzig in zu viel Kleidung. Doch mein Körper reagierte trotzdem auf seine Nähe, schmiegte sich automatisch an ihn. Mein Kopf wollte nicht so ganz mitspielen, ich war genervt davon, dass wir im Moment so wenig Zeit alleine hatten – und genervt davon, wie sehr ich ihn immer noch wollte. Ich wollte nicht wollen…

Doch ich wollte ihn, will ihn. Will ihn ausziehen, seinen Körper spüren, schwitzig von der Hitze und von Lust. Auf dem Bett liegend, wandern meine Hände langsam tiefer, zwischen meinen Brüsten entlang, zu meinen Oberschenkeln. Ich verreibe den Schweiß, der sich zwischen meinen Beinen gebildet hat, fahre mit den Fingern gedankenverloren die Kuhle am Beinansatz entlang.

Mein Körper windet sich auf dem Bett, suchend, rastlos. Ich lasse meine Hände schlaff neben mich fallen, lehne den Kopf in den Nacken, und drehe mich frustriert auf den Bauch.

Mir ist einfach zu heiß!

Bondage

In den letzten Wochen habe ich ab und zu mal wieder meinen Bondage-Rahmen aufgebaut und die Seile in die Hand genommen. Es ist einige Jahre her, dass ich mich intensiv mit dieser Spielart beschäftigt habe, aber ich liebe es immer noch.

Für intensive Bondage-Sessions hätte ich am liebsten wieder einen festen Spielgefährten. Es braucht einfach einige Zeit, bis man sich aufeinander eingestellt hat. Viele Fesselungen sind auch anstrengend für den Gefesselten und müssen daher trainiert und langsam ausgedehnt werden.

Wenn ich bei einem Paysex-Date jemanden fessle, geht es meist nicht rein um Bondage, sondern um das Gefühl ausgeliefert zu sein. Klar kann ich dafür auch einfach Handschellen nehmen, aber die meisten können das Gefühl von Seilen auf der Haut durchaus genießen. Und ich mag, dass ich dabei langsamer in Kontakt gehe und die Session aufbaue. Jemanden zu fesseln hat eine ganz eigene Art von Erotik; eine Art von Berührung, die mich immer wieder an Massagen denken lässt in ihrer Sanftheit und Langsamkeit.

Deswegen ist es mir auch unverständlich, warum viele gedanklich Bondage in die SM-Ecke schieben. Für mich ist es ein sehr vielseitiges Spiel, das man natürlich auch mit SM-Aspekten verbinden kann, das aber noch so viel mehr bietet!

S.A.M. Health

Die meisten Menschen, die im Paysex unterwegs sind, legen Wert auf Safer Sex, zumindest was die Verwendung von Kondomen angeht. Viel weniger Gedanken machen sich die meisten über Oralsex oder über die Fragen, wo sie in welcher Reihenfolge ihre Finger haben. Dadurch bleibt immer ein Restrisiko, sich doch mit einer Krankheit anzustecken. Ich halte es dafür für alle Menschen, die wechselnde Partner haben, für wichtig, sich regelmäßig auf die verbreitetsten sexuell übertragbaren Kranheiten testen zu lassen.

Neben dem Hausarzt bieten diese Tests in den meisten Städten die AIDS-Beratungen an. Seit einigen Jahen gibt es außerdem die Möglichkeit, die Proben für diese Tests selbst zu Hause zu entnehmen und an ein Labor zu schicken. Das Projekt heißt „S.A.M. Health“. Ich habe es jetzt schon einige Male genutzt und bin zufrieden damit.

Nach einer Online-Registrierung und einem kurzen telefonischen Beratungsgespräch bekommt man Abstrichtupfer und ein kleines Röhrchen zur Blutabnahme nach Hause geschickt. Die Proben kann man (nach Anleitung) problemlos selbst entnehmen. Sie werden dann an das Labor geschickt, und innerhalb von drei Tagen hat man das Ergebnis per SMS auf dem Handy – ganz diskret. Mit 59 Euro entspricht der Preis in etwa dem, was man auch bei den Beratungsstellen zahlt, und ist deutlich günstiger als beim Hausarzt. Und man spart sich halt den Zeitaufwand für einen Arzttermin.

Ich möchte es allen meinen Kunden immer wieder nahe bringen, sich mit dem Thema zu beschäftigen und Verantwortung zu übernehmen.

samhealth.de

Selbstbetrug

Ich habe Glück gehabt: Nach knapp fünf Tagen wurde mein Covid-Test am Mittwochabend wieder negativ. Vorsichtshalber habe ich Donnerstag und Freitag noch sehr viel Wert auf Abstand und Maske gelegt, aber jetzt entspanne ich mich langsam wieder. Ich huste noch und merke insgesamt, dass ich krank war, aber das ist jetzt hoffentlich nur noch eine Sache von ein paar Tagen.

Am Wochenende und heute habe ich dann ein paar Dates gehabt. In meinem Alltag stelle ich Dates gerne als Ergänzung dar: als etwas, das ich gerne mache, das aber nicht ganz oben auf meiner Prioritätenliste steht. Wenn ich so wie jetzt eine Zeit lang keine Dates hatte, merke ich immer, dass da eine ganz schöne Menge Selbstbetrug bei ist. Es fehlt mir nämlich!

Es ist mir wichtig, zwischen Paysex-Dates und meiner privaten Sexualität zu unterscheiden. Bei ersterem bin ich Dienstleisterin und zum Großteil auf meinen Gast konzentriert; privat kann ich mich mehr fallen lassen und auch mal meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Trotzdem geben mir auch die Paysex-Dates viel (abgesehen von Geld): Körperkontakt, Nähe, Bestätigung, Gesellschaft… Ich mache genug Dates in der Woche, dass es deutlich eine Lücke nicht nur in meine Zeit, sondern auch in meine Zufriedenheit reißt, wenn ich plötzlich keine Paysex-Dates mehr habe.

Es gelingt mir übrigens nicht, wenige Paysex-Dates durch mehr private Sexualität auszugleichen oder umgekehrt. Wenn ich ganz frisch verliebt bin und völlig auf den neuen Mann in meinem Leben fixiert (was selten vorkommt), kommt es mal vor, dass Paysex-Dates in den Hintergrund treten. Aber generell brauche ich beides in meinem Leben – und fühle den Mangel, wenn mir eins von beidem fehlt.

In diesem Sinne widme ich den morgigen Tag meiner privaten Sexualität und freue mich dann ab Mittwoch wieder auf Paysex-Dates.

Covid-positiv

Jetzt hat es mich auch erwischt: seit gestern bin ich Covid-positiv. Ich habe mich Mitte letzter Woche bei einem Freund angesteckt, der am Wochenende davor auf Festival war. Sein Test war seit Freitagmorgen positiv. Kurz habe ich noch gehofft, mich nicht angesteckt zu haben, aber seit Samstag huste ich und seit gestern habe ich eindeutige Symptome. Im Moment fühlt es sich an wie eine normale Erkältung: Husten, Schnupfen, Kopfschmerzen. Ich bin selten krank und kann da schlecht mit umgehen, mir fällt jetzt schon die Decke auf den Kopf.

Gefühlt sind im Moment 20-30% der Menschen in meinem Bekanntenkreis Covid-positiv, es war also vielleicht nur eine Frage der Zeit bis ich mich auch anstecke. Dabei bin ich immer noch vorsichtig gewesen, trage weiterhin in Geschäften eine Maske und gehe nicht zu Großveranstaltungen. Auch ohne Anlass habe ich mich vor jedem Date getestet, nach dem Risikokontakt dann zwei Mal am Tag.

Wenn ich gerade die ganzen Bilder von Großveranstaltungen sehe oder von dem Gewusel in Zügen und an Urlaubsorten, frage ich mich, ob jetzt eine Durchseuchung gewollt ist. Warum haben wir uns dann eigentlich durch zwei Jahre Lockdowns durchgequält?! Die Impfquote finde ich immer noch erschreckend niedrig, man kann also noch nicht mal argumentieren, dass es „jetzt ja nicht mehr so schlimm ist“. Ein Freund von mir war trotz dreifacher Impfung 12 Tage positiv und kämpft jetzt mit einer Lungenentzündung…

Der Freund, bei dem ich mich angesteckt habe, war nach vier Tagen wieder negativ – vielleicht habe ich ja Glück und bin auch so schnell durch. Ich vermisse mein Leben jetzt schon!

Statistiken

Das UKE Hamburg hat zur kurzen eine Umfrage gemacht zu der Frage, wieviele Männer zu Sexarbeiterinnen gehen, wieviele Sexpartnerinnen diese Männer insgesamt hatten, und ob das das Risiko an sexuell überragbare Krankheiten zu erkranken erhöht. (Link zu dem Artikel in den Kommentaren)

Ich will jetzt nicht im Detail auf diese Studie eingehen. Was mich daran getriggert hat, war die Gesamtzahl der Sexpartnerinnen: Bei Männern die zu Sexarbeiterinnen gehen ist diese Zahl mit 20 doppelt so hoch wie bei Männern, die das nicht tun. Ich habe daraufhin gegoogelt, ob es Zahlen gibt, wieviele Sexpartner Menschen durchschnittlich in ihrem Leben haben.

Als erstes störte mich dabei, dass die Daten zwar nach Männern und Frauen aufgegliedert sind, aber nicht nach Alter. Ist es nicht logisch, dass man mit 25 viel weniger Partner hatte als mit 50, und sollte das nicht bei der Beurteilung berücksichtigt werden? Insgesamt erschienen mir die Zahlen sehr niedrig, im ein- oder niedrigen zweistelligen Bereich (meist unter 15).

Ich frage mich, wie verlässlich diese Zahlen sind oder ob da reichlich gemogelt wird bei der Beantwortung der Frage. Oder ich bewege mich einfach nur in Kreisen, die deutlich kleiner sind als sie mir erscheinen. In meinem Umfeld sind wechselnde Partner nicht ungewöhnlich, und ich kenne einige Menschen die mehrere Partner gleichzeitig haben. Und ich frage mich, ob meine Kunden bei der Beantwortung dieser Frage Paysex-Dates wohl mitzählen würden oder ob sie das einfach unter den Tisch fallen lassen, weil „es ja kein richtiger Partner ist“ (wie ich es übrigens gerne tue).

Eigentlich sind es völlig unwichtige Fragen, aber da bei Diskussionen immer wieder mit so Umfrage-Ergebnissen hantiert wird, würde mich die Aussagekraft davon schon interessieren.

Selbstverteidigung

Ich muss mich heute mal aufregen. An sich hatte ich ein sehr ruhiges, schönes Wochenende. Ich hatte keine Dates (war es wohl zu warm für), war dafür viel beim Yoga, hatte einen Reitlehrgang, war Fahrrad fahren und in der Stadt unterwegs. Trotzdem bin ich jetzt am Montagmorgen arg getriggert.

Angefangen hat es mit Nachrichten eines guten Freundes, der sich gerade in einem tiefen Prozess befindet und mich zur Zielscheibe seiner Projektionen macht. Einerseits findet er es toll, wie ich mit Körperlichkeit und Sexualität umgeht, und stellt mich damit auf einen Podest. Anderereseits muss dann eine starke Abgrenzung stattfinden, weil mein Verhalten bei ihm alte Gefühle von Scham und Unzulänglichkeit auslöst. Dieses plötzliche Kippen, verbunden mit einem Rückzug, verletzt mich und triggert meine eigenen Themen.

Der zweite Triggerpunkt war gestern Abend ein Online-Kontakt. Ich bin in einem Forum unterwegs, in dem erotische Geschichten geteilt werden. Gestern entstand um eine Geschichte eine Diskussion über den Begriff „Nutte“ – ob man den überhaupt nutzen dürfe, und wie es gemeint und auf was bezogen wäre. Soweit alles gut. Bis eine Frau, mit der ich an sich einen sehr guten Kontakt habe, einen längeren Beitrag schrieb darüber, wie schlimm Prostitution sei, dass die Frauen ja alles Opfer seien und dringend Hilfe bräuchten – die ganze Klischee-Schiene, auf der die Prostitutionsgegner ständig rumreiten. Ich habe eine kurze Antwort geschrieben und den Rest des Abends vor Wut geschäumt. Dieses Bild wird in der letzten Zeit einfach wieder viel zu sehr verbreitet. Ich frage mich dann immer, ob ich wirklich in so einer Parallelwelt unterwegs bin; ich habe in 20 Jahren zwar durchaus ab und zu Frauen erlebt, die in der Prostitution nicht glücklich waren (generell oder zeitweise), aber keine einzige die es nicht freiwillig gemacht hätte.

Vielleicht hatte ich an diesem Wochenende einfach zu viel Zeit zum Nachdenken und habe diese Geschichten daher zu nah an mich heran gelassen. Auf jeden Fall kämpfe ich gerade mal wieder mit dem Gefühl einfach „falsch“ zu sein – falsch zu leben, falsch zu fühlen, als wären meine Erlebnisse und Gefühle nicht gültig. Die Gesellschaft propagiert halt überwiegend immer noch monogame Beziehungen und Lebensweisen, die auf Ehe und Familie ausgerichtet sind. Ich habe mir Nischen geschaffen, in denen ich Menschen kennenlerne, die das anders leben. Umso schwerer ist es, wenn ich geballt mit diesen unversöhnlichen Ansichten konfrontiert werde.

Unerwünschte Fragen

Es ist für jeden Menschen unterschiedlich, was er über sich und sein Leben erzählen möchte. Manche Kunden würden am liebsten nicht mal ihren Vornamen nennen, während andere mir eine ganze Reihe von Informationen und Erkennungsmerkmalen im Gespräch geben. Auch für jede Sexarbeiterin ist es unterschiedlich, was sie über sich preisgeben möchte – sowohl über ihre Arbeit als auch über ihr Privatleben. Ich bin eigentlich ziemlich offen im Gespräch und erzähle so einiges darüber was ich so mache und erlebe. Auf zwei Themen reagiere ich jedoch empfindlich:

Das erste sind Fragen oder Spekulationen darüber, wie viele Paysex-Dates ich mache und wieviel Geld ich demnach verdiene. Da werde ich immer nur eine ausweichende Antwort drauf geben. Was viel oder wenig ist, sieht jede Sexarbeiterin anders. Es gab Tage im Appartement, da habe ich mich über einen guten Tag gefreut, während die Kollegin über einen schlechten Tag jammerte – obwohl wir die gleiche Anzahl an Terminen hatten. Ich kann von meiner Sexarbeit leben, ohne mich zu überarbeiten; das heißt nicht, dass ich mir keine Gedanken mehr über Geld machen muss oder ein luxuriöses Leben führe. Hinzu kommt, dass die meisten meiner Kunden Angestellte sind und keine Vorstellung davon haben, welche Kosten ich als Selbständige habe (Betriebskosten, Steuern, Versicherungen etc) und dass ich für den Luxus der Selbständigkeit auf Dinge wie bezahlten Urlaub und Krankengeld verzichte. Spekulationen über meinen Verdienst führen also meist zu einem Bild, das nichts mit der Realität zu tun hat.

Das zweite sind Spekulationen über meinen Beziehungsstatus. Einige meiner Kunden gehen automatisch davon aus, dass ich Single bin, da ich „das“ ja sonst nicht machen würde. Das sagt mehr über sie selbst aus als über mich, wenn sie sich nicht vorstellen können, dass ein Mann eine Sexarbeiterin als Partnerin akzeptieren kann. Ich glaube schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr an monogame Beziehungen, weiß aber dass für sehr viele Menschen das immer noch die einzige mögliche Form von Beziehung ist. Wenn mich jemand direkt fragt, ob ich Single bin, macht mich das auch misstrauisch. Warum will er das wissen? Für ein Paysex-Date sollte mein Beziehungsstatus keine Rolle spielen, da ich mich nicht nach einem solchen Date privat mit Kunden treffen würde. Demnach beantworte ich diese Frage auch meist mit „Das geht dich nichts an.“ Last but not least kann sich mein Beziehungsstatus auch immer mal wieder ändern, und mit keinem meiner Kunden bin ich so eng, dass ich ihn über Veränderungen darüber auf dem Laufenden halte, wer gerade in meinem Privatleben eine Rolle spielt. Ich rede durchaus mal über Beziehungen – über Vorstellungen, Erfahrungen, Ideen .- aber das dann eher auf einer allgemeinen Ebene und nicht konkret auf meine momentane Lebenssituation bezogen. Manche meiner Stammkunden wissen, ob ich gerade eine „Hauptbeziehung“ in meinem Privatleben habe oder nicht. Das sind aber genau die, für die dieses Wissen keine Rolle spielt und ich mich demnach frei fühle, davon zu erzählen.

Mir fällt gerade noch etwas drittes ein: Ich rede nur ungern und selten über sexuelle Erlebnisse mit anderen Männern, egal ob im Paysex oder privat. Ich kann mal erzählen, was ich schon erlebt habe oder mir vorstellen kann. Aber ganz konkret von einzelnen Erlebnissen zu berichten, finde ich illoyal und unpassend. (Geschichten hier im Blog sind manchmal an reale Erlebnisse angelehnt, aber dabei geht es mir mehr um die Beschreibung von Stimmungen, so dass ich viele Details ändere.)

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