Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Kategorie: Sexarbeiter-Welt (Seite 2 von 7)

Gedanken zum Thema Sexarbeit in Gesesllschaft und Politik

Positionierung

In den letzten Jahren verlasse ich mich für meine Werbung ausschließlich auf kaufmich. Das klappt gut, aber manchmal mache ich mir etwas Sorgen darüber, dass es nicht gut ist, so auf eine einzige Seite angewiesen zu sein (zumal ich mit kaufmich schon häufiger Probleme hatte). Das Problem ist, dass ich bis jetzt keine weiteren Seiten gefunden haben, die mir die Möglichkeit geben, mich differenziert genug darzustellen.

Früher habe ich noch bei modelle-hamburg und sexnord Anzeigen gehabt. Beides war ziemlich kostspielig und mehr auf Frauen ausgelegt, die in Appartements o.ä. arbeiten, also regelmäßig und vor allem spontan verfügbar sind. Da ich das nicht mehr bin, fühle ich mich da nicht mehr richtig aufgehoben.

Die letzten Wochen habe ich es bei markt und quoka mit Anzeigen versucht. Beides ist mir empfohlen worden, und da es kostenlos ist, war es einen Versuch wert. Gelohnt hat es sich nicht. Mein Telefon schellte zwar, aber vor allem auch nachts, mit spontanen Anfragen, und mit vielen Anfragen die sehr deutlich machten, dass niemand die Anzeige gelesen hatte. Verdirbt mir nur die Laune und ist Zeitverschwendung.

Jetzt überlege ich, wieder vermehrt für Massagen zu inserieren. Das kann aber auch zu Verwirrung führen, zumal ich dann die Preise wohl wieder differenzieren müsste…

Herje, eindeutig nicht mein Lieblingsthema! Aber eins, mit dem sich jeder Selbständige (egal welcher Branche) immer wieder auseinandersetzen muss, und zu dem es mittlerweile auch eine ganze Reihe von Coaches und Kursen gibt.

„Es läuft nix!“

Vor ein paar Tagen hat der BesD (Berufsverband Sexarbeit) einen Online-Workshop veranstaltet zum Thema: „Es läuft nix! Der veränderte Markt in der Sexarbeit und wie man trotzdem Geld verdient“ Ich hatte leider keine Zeit, daran teilzunehmen, aber es hat mich etwas nachdenklich gemacht, dass da ein offzielles Thema draus gemacht wird.

Bei mir liefen die ersten Monate dieses Jahres auch nicht so gut, aber ich hatte daraus nicht auf eine allgemeine Situation geschlossen. Ich habe ja im März meine Preise erhöht (mit Ankündigung mehrere Wochen vorher). Das führte dazu, dass der Februar besser lief als in den Jahren zuvor (Februar ist sonst ein sehr ruhiger Monat), dafür der März aber fast gar nicht. Im April hat sich das wieder gefangen und meine Umsätze sind relativ stabil – im Rahmen der üblichen Schwankungen, wenn man selbständig ist, und etwas mehr ginge auf jeden Fall noch.

Hinzu kommt, dass ich in den letzten Monaten eine Fortbildung fortgesetzt und abgeschlossen habe, die ich 2021 wegen Corona abbrechen musste, und auch in meinem Privatleben einiges in Veränderung war. Ich habe es häufig in solchen Phasen, wenn ich gefühlt gar nicht so viel Energie und Begeisterung für Dates habe, dass die Umsätze zurückgehen. Ich gebe einfach zu wenig Energie hinein, und das kommt bei meinen Kunden an – das mag esoterisch klingen, aber so erlebe ich es. Am 24. Juni hatte ich die Abschlussprüfung der Fortbildung, und danach hatte ich eine intensive Dating-Woche.

Aus meinem Umfeld höre ich im Moment vermehrt Klagen über die Unzuverlässigkeit von Sexarbeiterinnen. Schon mehrere Kunden haben mir berichtet, dass von fünf Anfragen nach Dates nur noch eins wirklich stattfindet; viele Nachrichten bleiben unbeantwortet oder Dates werden kurzfristig unter einem Vorwand abgesagt. Ich freue mich ja immer über Termine mit mehr Vorlauf, aber viele Anbieterinnen scheinen damit überfordert zu sein (was für ein Klischee). Auch die Preisspanne geht immer weiter auseinander.

Es bleibt also spannend, wie sich „das älteste Gewerbe der Welt“ in der nächsten Zeit weiter entwickeln wird. Ich sehe das relativ entspannt; zu einem Großteil treffe ich Stammkunden, und sehe Sexarbeit für mich zwar noch als einen wichtigen Teil, aber nicht mehr unbedingt als meine Zukunft. Es ist mehr und mehr Zeit für etwas Neues, und es bleibt spannend!

Frage nach Tabus

Vor ein paar Tagen entstand mit einigen Kolleginnen eine Diskussion darüber, wie man am besten mit der Frage nach Tabus umgeht. Immer wieder mal bekomme ich Nachrichten, die wenig Informationen enthalten, aber dafür die Frage: „Was sind denn so deine Tabus?“

Für einige Menschen in der Paysex-Szene ist „tabulos“ ein Code dafür, dass Kontakt ohne Kondome angeboten wird. Da macht die Frage nach meinen Tabus aber meiner Meinung nach keinen Sinn, sondern es wird eher gefragt: „Bist du denn auch tabulos?“ Wie auch immer, das ist meist meine erste und einzige Antwort auf diese Frage: „Meine Tabus sind alles, was nicht safe ist.“ Das ist für mich ein weites Feld, denn unter safe fällt für mich nicht nur Safer Sex, sondern auch ein verantwortungsvoller Umgang mit SM-Techniken und der Verzicht auf jede Form von Drogen.

Jede Frau hat Tabus, also Dinge, die sie so gar nicht mag. Manchmal können das ganz unerwartete Dinge sein; mich z.B. turnt Dirty Talk total ab. Häufig werden da Dinge wie Analverkehr genannt, oder verschiedene Formen von Spermaspielen, oder die klassischen Paysex-Tabus Küssen und Fingern.

Ich habe viele Dinge, die ich nicht als Tabus bezeichnen würde, sondern eher als das Gegenteil von Vorlieben. Z.B. kann ich nicht viel mit LackLederLatex anfangen, oder Rollenspielen. Ich habe da mal kurz mit experimentiert, aber es gibt mir nichts, und selbst wenn ich einem Kunden damit einen Gefallen tun will, kommt es nicht überzeugend rüber. Es sind keine echten Tabus, aber der Kunde ist einfach bei einer anderen Kollegin besser aufgehoben, die solche Spiele mit Überzeugung und Begeisterung spielen kann.

Was mich am meisten an der eingangs erwähnten Frage nach Tabus irritiert, ist, dass sie so ziellos ist. Wenn ich davon ausgehe, dass da nicht indirekt nach AO-Sex gefragt wird, sondern jemand wirklich meine Tabus wissen will, dann fange ich jetzt an, beliebig Tabus und Abneigungen aufzuzählen. Wahrscheinlich wird die Liste nie vollständig sein, und vieles auf der Liste wird den Kunden eh nicht interessieren.

In meinen Augen macht es also viel mehr Sinn, mir von Vorstellungen und Fantasien zu erzählen, und ich kann dann sagen, ob ich das umsetzen kann oder nicht. Es macht Sinn, nach einer bestimmten Sache zu fragen, die einem als Kunde besonders wichtig ist (gerade wenn man die Erfahrung gemacht hat, dass diese Sache für manche Sexarbeiterinnen ein Tabu ist). Werde konkret bei einer Anfrage, erzähle was dich an meinem Profil anspricht und was du mit mir erleben möchtest – das führt viel eher zum Erfolg, als dich an meinen willkürlich genannten Vorlieben und Abneigungen zu orientieren. Diese sind ein erster Anhaltspunkt, sagen aber nach meiner Erfahrung wenig darüber aus, ob wir im Spiel auf einer Wellenlänge liegen werden oder nicht.

Internationaler Hurentag

Am 2. Juni ist der Internationale Hurentag. Ehrlich gesagt hab ich das nur durch Zufall mitbekommen, über eine Kollegin, die sich beim BesD engagiert. Mittlerweile gibt es ja gefühlt für fast alles einen Tag… Trotzdem fand ich es spannend, mal zu googeln, wie der Internationale Hurentag entstanden ist. Hier die Ergebnisse meiner Recherche:

Der Internationale Hurentag wird immer am 2. Juni begangen (in Deutschland seit 1989) und soll an die Diskriminierung und Ausbeutung von Sexarbeiterinnen erinnern. Ausgangspunkt für diesen Tag war der 2. Juni 1975; an diesemTag besetzten 100 Prostituierte die Kirche Saint-Nizier in Lyon (Frankreich).

Anfang der 1970er setzten französische Strafverfolgungsbehören Prostituierte in Frankreich zunehmend unter Druck. Die polizeilichen Repressalien zwangen die Frauen, zunehmend im Verborgenen zu arbeiten. Dadurch entfiel deren Schutz durch die Öffentlichkeit und dies führte zu vermehrten Gewalttaten gegen sie. nach zwei Morden und der fehlenden Bereitschaft der Regierung, die Situation der Prostituierten zu verbessern, besetzten Sexarbeiterinnen in Lyon schließlich eine der örtlichen Krichen – Saint-Nizier in der Rue de Brest – und traten in den Streik. Nach acht Tagen wurde die Kirche durch die Polizei geräumt. Das Ereignis wird als Ausgangspunkt der Hurenbewegung angesehen. (Quelle: Wikipedia)

1975 ist ziemlich lange her, aber die Situation von Sexarbeiterinnen hat sich leider seitdem nicht verbessert, eher im Gegenteil. In Frankreich ist Prostitution mittlerweile komplett verboten und findet nur im Verborgenen statt. Auch Sexarbeiterinnen in Deutschland (das lange Zeit als sehr liberal galt) geraten zunehmend unter Druck, zuletzt durch die Einführung des Prostitutionsschutzgesetzes 2017, die sehr repressiven Corona-Maßnahmen die Sexarbeit betreffend und der Propagierung des Nordischen Modells durch Abolitionistinnen.

Ein Hurentag macht also durchaus Sinn, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen und sie in die gesellschaftliche Diskussion zu bringen. Danke an die Kolleginnen vom Berufsverband Sexarbeit für ihren Einsatz!

Sexarbeit und Krankheiten

Vor ein paar Wochen war ich am Freitagnachmittag zu einem Übungstreffen mit ein paar Frauen aus meiner Ausbildung. Samstagmorgen schrieb dann eine der Teilnehmerinnen in der Gruppe, dass sie Corona-positiv sei und deswegen nicht zum Ausbildungswochenende kommen könne. Mein erster Gedanke: „Hoffentlich war ich nicht positiv ohne es zu wissen und habe sie angesteckt!“ Ein ziemlich abwegiger Gedanke, denn ich hatte keinerlei Symptome und auch keine Risikokontakte. Alle Tests an diesem und den folgenden Tagen waren dann auch (wie erwartet) negativ.

Meine Reaktion sagt etwas darüber aus, wie häufig ich in der Sexarbeit mit dem Gesundheitsthema konfrontiert werde – und wie häufig Sexarbeiterinnen pauschal die Schuld zugeschrieben wird. In der Corona-Zeit war das sehr offensichtlich; immer wieder wurden Bordelle als besonders riskante Orte bezeichnet, und Sexarbeit war länger verboten als fast jede andere Tätigkeit.

Früher waren für Sexarbeiterinnen regelmäßige Untersuchungen vorgeschriebenen, und seit 2017 herrscht die Pflicht zur jährlichen „Gesundheitsberatung“. Dabei geht es jedoch meist nicht wirklich um die Gesundheit der Sexarbeiterin, sondern um den Schutz der Kunden – und die Verantwortung dafür wird allein auf die Anbieterin abgewälzt.

Es liegt schon im Eigeninteresse jeder Sexarbeiterin, sich regelmäßig auf sexuell übertragbare Krankheiten testen zu lassen und auch sonst ein gutes Gefühl für den eigenen Körper und Schwächen in der Gesundheit zu entwickeln. Die meisten Sexarbeiterinnen, denen ich begegnet bin, kümmern sich sehr um ihre Gesundheit.

Kunden gegenüber bin ich offen darüber, wie häufig ich mich testen lasse und wie ich sonst mit meiner Gesundheit umgehe. Trotzdem gab es die ein oder andere Situation, in der ich mich von dieser Frage habe triggern lassen – nämlich immer dann, wenn der Fragende die Verantwortung komplett an mich abgab.

Meiner Meinung nach sollte sich jeder erwachsene Mensch, der wechselnde Partner hat (definiert als mehr als drei im Jahr), regelmäßig testen lassen und sich auch sonst mit dem Thema sexuelle Gesundheit beschäftigen. Die Praxis sieht anders aus: Der Großteil meiner Kunden hat sich nie testen lassen (oder eher zufällig bei einer Blutspende – wozu ich eine eigene Meinung habe).

In letzter Zeit wird sogar immer wieder mal von Kunden die Forderung an Sexarbeiterinnen gestellt, dass diese sich eine PrEP (Medikament zur HIV-Prophylaxe) verschreiben lassen – ohne weiteren Gedanken an Risiken und Nebenwirkungen.

(No) Party Girl

Als ich mich gerade neu bei kaufmich angemeldet hatte (2015), bekam ich einen Anruf von einem Mann, der mir jede Menge Fragen über meine Erfahrung, Einstellung, Hintergrund etc stellte. Heute würde ich so ein Gespräch wohl sehr schnell beenden mit dem Hinweis, dass ihn das wohl kaum etwas angeht. Damals habe ich viele der Fragen beantwortet.

Eine dieser Fragen war: „Bist du denn auch ein Party Girl?“ Ich kam etwas ins stottern und sagte irgendwas in die Richtung, dass ich zwar gerne tanze, aber eigentlich nicht mehr viel weggehe. Erst später habe ich gelernt, dass Party Girl ein Code war und er eigentlich etwas über meine Einstellung zu Alkohol und Drogen wissen wollte.

Für einige junge Frauen und auch für eine bestimmte Art von Kunden gehört das zum Lebensgefühl im Business: Weggehen, Trinken, Feiern, Drogen – manche nennen es Hedonismus, ich würde Exzess sagen. Und dann halt Sex: wild, ausschweifend, hemmungslos.

Wenn ich mir Mühe gebe, könnte ich die Male in meinem Leben, die ich betrunken war, wohl noch zählen. Wenn ich tanzen gegangen bin, war mir das immer Rausch genug, auch ohne Alkohol. Auch meine Drogenerfahrungen sind quasi nicht-existent. Meine Sexualität hat sich in den letzten 15 Jahren (seitdem ich Tantra mache) in eine völlig andere Richtung entwickelt: Ich lege Wert auf Achtsamkeit, Langsamkeit, ein sehr genaues Hinspüren und Eingehen auf den Gegenüber. Das kann auch mal leidenschaftlich werden, aber Intensität ist mir wichtiger als Exzess und Rausch.

Also nein, ich bin wohl kein Party Girl.

Anmeldung nach ProstSchG

Seit 2017 gibt es in Deutschland das Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG), das eine Anmeldung aller Sexarbeiterinnen und Bordellbetriebe verlangt. Die Anmeldung muss alle zwei Jahre verlängert werden, die gleichzeitig vorgeschriebene Gesundheitsberatung jedes Jahr. Bei mir war es jetzt mal wieder so weit. Von der Gesundheitsberatung habe ich ja vor zwei Wochen schon berichtet, hier jetzt ein paar Worte zur Anmeldung bei der zuständigen Behörde FA-BEA* Pro.

Ich war jetzt zum dritten Mal bei dieser Anmeldung. Beim ersten Mal hatte ich eine frisch geschulte Mitarbeiterin, die mir ausgiebig erzählte, was sie über Sicherheitsvorkehrungen in Bordellen und beim Escort gelernt hatte – ohne wohl jemals wirklich Berührung mit dem Thema gehabt zu haben. Beim zweiten Mal (mitten im Corona-Lockdown) war es ein reiner Verwaltungsakt, bei dem meine Daten aufgenommen und meine Papiere auf aktuellen Stand gebracht wurden.

Auch diesmal war es eher eine Formalie. Natürlich wurde mir angeboten, dass ich Fragen stellen könne, zu Sicherheit und Rechten in der Sexarbeit. Dann wurde auf die Kondompflicht hingewiesen und die Pflicht zur steuerlichen Anmeldung. Und da wurde es für mich kontrovers: Bei Einführung des ProstSchG wurde großer Wert darauf gelegt, dass die in der Fachstelle erhoben Daten nicht an andere Stellen weitergegeben würden.

Diesmal sagte mir der Mitarbeiter, dass die Daten automatisch gelöscht würden, wenn meine Anmeldung seit mehr als drei Monaten abgelaufen sei (war sie nicht). Ich war etwas überrascht, denn beim letzten Mal wurde mir gesagt, ich müsse mich aktiv abmelden, wenn ich mal aufhören würde. Als ich das anmerkte, sagte er: ja, wenn ich irgendwann mittendrin aufhöre – aber auch sonst macht es Sinn, da die Abmeldung an die Steuerbehörde weitergegeben wird. Ach – und die Anmeldung dann auch?!

Beim Rausgehen drückte er mir noch ein Kondom in die Hand, auf dessen Verpackung stand: „50.000 Euro gespart“, bezugnehmend auf die Kondompflicht (§32 ProstSchG) und das drohende Bußgeld bei Zuwiderhandlung (§33 ProstSchG). Mich würde interessieren, ob es da in den letzten fünf Jahren Anzeigen gab… kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.

Als ich noch im Studio gearbeitet habe, musste ich dort die Anmeldung vorlegen. Seit ich alleine arbeite, hat mich niemand mehr danach gefragt, und ich bezweifle auch, dass das jemals der Fall sein wird. Die Anmeldebescheinigung darf nämlich weder von Kunden noch von der Polizei verlangt werden, sondern nur von Mitarbeitern der FA-BEA* Pro – die Wahrscheinlichkeit einer Kontrolle als Einzelperson ist da so gut wie nicht existent.

Gesundheitsberatung?

November ist der Monat, in dem ich mich seit einigen Jahren um meine Anmeldung nach Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG) und um die damit einhergehende Gesundheitsberatung kümmern muss. Montag war es soweit, ich hatte meinen Termin zur Gesundheitsberatung – und habe mich mal wieder ausgiebig darüber geärgert!

Es fängt schon damit an, dass die Beratung nicht jemandem mit medizinischem Hintergrund durchgeführt wird, sondern von Sozialarbeiterinnen. Diese waren bis jetzt alle sehr jung und schienen mir nicht besonders vertraut mit dem Thema zu sein (über das hinaus, was man sich in kurzer Zeit anlesen kann). Sie sind in der Lage, eine grundsätzliche Einführung zum Thema zu geben und ansonsten an kompetentere Stellen zu verweisen. Und sie können an weiterführende soziale Beratungsstellen verweisen, was wohl ein wichtigerer Aspekt dieser Treffen sind.

In den letzten Jahren erlebe ich es so, dass die Beraterinnen auch darauf ausgerichtet sind, diesen Pflichttermin für die Sexarbeiterinnen möglichst schnell zum Abschluss zu bringen. Ich kann also auch einfach sagen: „Ich habe keinen Beratungsbedarf.“, dann bekomme ich die Bescheinigung und gut. Diesmal habe ich ein bisschen Smalltalk gemacht, ein bisschen von mir erzählt – und war trotzdem in unter zehn Minuten wieder raus.

Das Gesetz und die damit verbundenen Institutionen sind das perfekte Beispiel für nutzlose Bürokratie! Das Geld könnte man besser für Beratungsstellen ausgeben, die echte Arbeit leisten, wie z.B. das Casa Blanca hier in Hamburg oder die Aidshilfe.

Covering

Ich biete keine Hotel- und Hausbesuche an. Nicht nur aus praktischen Gründen, sondern auch, weil ich mich damit einfach nicht wohl fühle. Ich habe in meiner Laufbahn nur eine handvoll solcher Termine gemacht, relativ am Anfang. Hotels sind noch ein neutraler Boden, aber bei Hausbesuchen verschiebt sich meiner Meinung nach das Gleichgewicht stark zu Ungunsten der besuchenden Frau.

Die Hausbesuche, die ich damals gemacht habe, waren noch über eine Escort-Agentur organisiert. Teilweise hat mich sogar ein Fahrer gefahren und vor der Tür auf mich gewartet. Auf jeden Fall gab es aber ein Sicherheits-Procedere: Ich schickte eine erste Nachricht bevor ich reinging, dann eine zweite Nachricht, wenn drinnen alles in Ordnung war und ich das Geld bekommen hatte, und eine dritte Nachricht nach Ablauf der Zeit, wenn ich wieder vor der Tür stand und mich auf den Heimweg machte. Dazu hatte die Agentur natürlich Namen und Adresse des Kunden.

In den letzten Jahren hat die Verbreitung von Escort-Agenturen stark abgenommen. Mittlerweile organisieren die meisten Frauen ihre Termine selber über Internet und Handy. Das erhöht den Verdienst, aber es fällt halt auch das automatische Sicherheitsnetz der Agentur weg. Es bleibt jeder Frau selbst überlassen, sich ein eigenes Sicherheitsnetz zu schaffen – oder eben auch darauf zu verzichten.

In einem Buch, dass das Verbot von Prostitution via Nordischem Modell propagiert, habe ich folgende Beschreibung eines Paysex-Termins gelesen: „Er wohnt weit draußen. Er werde mich abholen, sagt er. Und dann führen wir zu ihm. Das klingt nicht gut. Mein inneres Alarmsystem klingelt ununterbrochen. […] Irgendwann fahren wir von der Straße ab in einen Wald. Nach zwanzig Minuten Fahrt durch den Wald kommen wir an einem Haus an. Sagte ich „ein Haus“? Es ist ein verdammter Hochsicherheitstrakt. Mir gehen fast die Augen über, als wir ankommen. Um das ganze Gelände, auf dem seine Firma und sein Haus stehen, ist eine Mauer. Darüber Stacheldraht. Das Sicherheitstor geht auf, wir fahren durch. Ich werfe einen kurzen Blick auf mein Handy – ich habe keinen Empfang mehr.“

Ich bin absolut gegen Victim Blaming, aber bei dieser Beschreibung wird mir schlecht, und zwar nicht nur wegen des Verhaltens des Kunden (der es eindeutig darauf anlegt, sich machtvoll zu fühlen und ihr Angst zu machen), sondern auch angesichts der Naivität dieser Sexarbeiterin. Regel Nummer ein: mit eigenem Auto oder Taxi zum Termin fahren (man kann mit dem Kunden ein Fahrgeld aushandeln). Und dann beim Betreten des Hauses sicherstellen, dass man weiß wo die Ausgänge sind und das diese unverschlossen sind.

Vor einigen Wochen hatte ich ein privates Date in einem Stadtteil von Hamburg, in dem ich mich nicht gut auskenne. Wir wollten essen gehen und es war mir wichtig, ihn das Restaurant auswählen zu lassen. Das führte jedoch dazu, dass ich Probleme mit der ÖPNV-Verbindung bekam, da in Hamburg zur Zeit einige Bahnlinien komplett gesperrt sind. Er bot an, mich von der Bahn abzuholen – eigentlich ein NoGo bei einem ersten Date. Ich habe das gelöst, indem ich einen Freund gebeten habe, mich zu covern. (Er verbrachte den Abend zu Hause am Schreibtisch und hatte Zeit, sein Handy im Auge zu behalten.)

Ich ließ also den ganzen Abend die Standort-Übertragung auf meinem Handy laufen. Außerdem schickte ich ihm zu verabredeten Zeitpunkten eine kurze Nachricht, dass es mir gut geht und alles in Ordnung ist. Zusätzlich habe ich noch ein Foto des Nummernschilds gemacht und ihm geschickt, bevor ich ins Auto gestiegen bin. Das ist mir nicht unbemerkt gelungen, aber ich habe erklärt, dass ich mich so sicherer fühle, und mein Date hat es mir nicht übel genommen.

Im Endeffekt muss jede Frau einen eigenen Weg finden, um sich sicher zu fühlen. Absolute Sicherheit gibt es nicht, aber es macht schon Sinn, sich ab und zu Gedanken darüber zu machen, welche Risiken es gibt und wie man die minimieren kann.

Verantwortung des Kunden

Anfang der Woche hatte ich einen Termin, der mich sprach- und ratlos zurückgelassen hat. Gar nicht mal der Termin selber, da war alles okay. Sondern das Gespräch danach.

Wir sprachen über kaufmich und über die Erfahrungen, die man so mit Paysex-Dates gemacht hatte. Über gegenseitiges Mißtrauen und versetzte Dates, aber auch über Dinge die gut gelaufen sind. Er schien beruflich viel unterwegs zu sein und in unterschiedlichen Städten Dates zu machen.

Er erzählte dann, dass er in Berlin häufig über Escort-Agenturen Dates buchen würde. Ich war etwas überrascht, denn ich hatte Escort-Agenturen für ausgestorben gehalten, seit jede Frau mit dem Handy übers Internet eigene Termine machen konnte, bzw Escort-Agenturen kannte ich nur noch aus dem absoluten High Class-Bereich.

Doch das meinte er nicht. In Berlin gibt es Agenturen, wo man einfach per SMS eine Frau aufs Hotelzimmer bestellen könne (so wie eine Pizza). Meist kämen dann Bulgarinnen, die kein Wort Deutsch sprächen. Er beklagte sich dann, dass das generell okay sei, er aber auch schon Frauen „gehabt“ hätte, die eindeutig nicht hätten da sein wollen, keinerlei Service/ Motivation an den Tag legten und in einigen Fällen sogar betrunken und/ oder unter Drogen gewesen wären. In solchen Fällen hätte er sich natürlich im Nachhinein bei der Agentur beschwert!

Zu diesem Zeitpunkt war ich nur noch sprachlos und dann froh, als er gegangen ist. Auf der politischen Schiene kämpfen wir selbstbestimmte Sexarbeiterinnen ständig für unsere Arbeit und auch gegen das Stigma, dem auch die Kunden ausgesetzt sind. Die Argumentation der Prostitutionsgegnerinnen ist ja, dass das meiste Menschenhandel/ Zwangsprostitution ist und alle Freier Gewalttäter. Ich habe immer argumentiert, dass keiner meiner Kunden jemals so mit einer Frau Sex haben würde.

Jetzt komme ich mir naiv vor und mein Weltbild ist ein wenig ins Wanken geraten. Vielleicht bewege ich mich wirklich zu sehr in meiner Blase und verstelle mir damit den Blick auf eine unschöne Realität, die es auch gibt.

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