Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Kategorie: Gedanken (Seite 2 von 10)

Gedanken zu verschiedenen Themen im Rahmen der Sexarbeit

Alter

In den letzten Wochen bin ich einige Male von Kunden gefragt worden, ob mir ihr Alter etwas ausmachen würde. Ehrliche Antwort: nein, ist mir völlig egal! Ich habe Kunden in so ziemlich jeder Altersklasse, von Ende 20 bis über 80. Ab und zu habe ich auch Anfragen von sehr jungen Männern, wo ich mich manchmal frage, wonach sie wohl bei mir suchen. Da kommen aber selten Termine zustande (wohl auch aus finanziellen Gründen).

Gestern Morgen habe ich über mein eigenes Alter gescherzt. Wie ich ja vor kurzem schon mal erzählt habe, gibt es für mich nur selten eine deutliche Unterscheidung zwischen Wochentag und Wochenende, meine Tage laufen immer ähnlich ab. So war ich auch am Sonntagmorgen um halb sieben aufgestanden, um an der Yogastunde um acht teilzunehmen. Morgens schicke ich meinem besten Freund immer eine „Guten Morgen“-Nachricht, hatte aber um diese Zeit am Sonntag mit keiner Antwort gerechnet. Ich bekam jedoch schnell eine Antwort, in Form eines kurzen Videos von einer immer noch gut besuchten Party und der Information, dass er betrunken sei. Ins Bett gegangen ist er dann um halb zehn, als ich mit Yoga fertig war und gemütlich beim Frühstück saß. Bei diesem Vergleich kam ich mir plötzlich alt vor…

Meine Party-Zeiten liegen schon seit zwanzig Jahren hinter mir. Vor Corona war ich 2-3 Mal im Jahr im Catonium (eine SM-Location hier in Hamburg), und dieses Wochenende hatte ich sogar kurz überlegt, dorthin zu gehen, konnte mich aber dann doch nicht dazu durchringen. Im Moment genieße ich meinen „langweiligen“ Alltag einfach zu sehr…

Arbeitszeit und Freizeit

In den letzten Wochen habe ich vermehrt am Wochenende Dates. Das gehört zur Selbständigkeit dazu, gerade in der Sexarbeit, dass es sowas wie feste Arbeitszeiten nur selten gibt und auch kein freies Wochenende.

Im Laufe der letzten Jahre habe ich das sehr unterschiedlich gehandhabt. Meist ist das abhängig davon, wie die Menschen Freizeit haben, die gerade eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen. Auch ich wünsche mir natürlich mal einen freien Tag mit meinem Partner oder guten Freunden, und wenn derjenige dann klassisch Montag bis Freitag arbeitet, mache ich öfter mal einen Tag am Wochenende frei.

Wenn mein Gegenüber auch mal einen Tag unter der Woche frei machen kann, oder wenn ich Single bin (mehr oder weniger), spielt der Untschied zwischen Arbeitswoche und Wochenende für mich keine so große Rolle. Dann arbeite ich halt am Wochenende und mache dafür in der Woche einen Tag frei. (Wobei es für Kunden sehr viel verständlicher ist, wenn ich am Sonntag frei mache als an z.B. einem Mittwoch; das kann schon mal zu Irritationen führen.)

Aufgefallen ist mir, dass Dates am Wochenende eine andere Stimmung und Qualität haben als unter der Woche. Die Kunden, die am Wochenende zu mir kommen, haben dann halt den Tag frei und sind demnach entspannt und ohne Zeitdruck. Unter der Woche schellt häufiger mal ein Arbeits-Handy dazwischen, oder der Blick ist schon auf den nächsten Termin gerichtet.

Für mich hat ein freier Tag unter der Woche gegenüber dem Wochenende auch noch den Vorteil, dass ich dem Wochenend-Gedränge an den meisten Freizeit-Orten aus dem Weg gehen kann. Abends groß weggehen tue ich schon seit vielen Jahren kaum noch, das vermisse ich also nicht, wenn ich stattdessen arbeite. Meist unterscheidet sich mein Tagesablauf am Wochenende nur wenig von dem in der Woche.

(Fehlende) Toleranz

Neulich saß ich nach einem Termin noch mit dem Kunden bei einem Kaffee zusammen, und irgendwie kam das Gespräch auf Bizzar-Termine. Erstaunt sah er mich an und fragte: „Was machst du denn an Fetisch-Sachen?“ Ich fing an zu erzählen, dass ich mich nicht als Domina sehe, aber viele Kunden habe, die einfach gerne mal die Verantwortung abgeben und z.B. mit Fesseln spielen, oder aber die bestimmte Fetische ausleben wollen, ohne dominiert zu werden, wie etwa NS oder StrapOn-Spiele.

An dieser Stelle bracht ich ab, da sich sein Gesicht angewidert verzog und er anschließend deutlich zum Ausdruck brachte, dass solche Spiele in seiner Welt gar nicht gehen. Mich ließ dieser Vorfall irritiert zurück. Ich meine, so ziemlich jede Anzeige im Erotik-Bereich enthälft eine Service-Liste. Die meisten Kunden überlesen die Dinge einfach, die für sie nicht interessant sind. Trotzdem ist auf einen Blick ersichtlich, dass ich nicht nur Kuschelsex anbiete.

Sexualität ist ein sehr persönliches Thema. Jeder Mensch lebt seine Sexualität anders aus, und jeder Mensch hat individuelle Vorlieben und Tabus. Es gibt wohl keine zwei Menschen auf der Welt, die da wirklich komplett identisch sind. Ich erlebe es so, dass meine Sexualität einen Graubereich hat: Es gibt Dinge, die mich total anmachen, und es gibt Dinge, die ich mir für mich gar nicht vorstellen kann. Dazwischen gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die von meiner Stimmung und/ oder meinem Gegenüber abhängig sind. Manchmal mache ich Dinge auch einfach, weil ich es mag zu sehen, dass sie meinen Gegenüber anmachen (natürlich solange sie nicht zu meinen Tabus zählen).

Selbst wenn Dinge zu meinen Tabus zählen, halte ich Toleranz gerade in der Sexualität für eine wichtige Eigentschaft. Wenn Menschen von ihrer Ablehnung für z.B. SM erzählen, frage ich manchmal nach, was sie denn unter SM verstehen, und bekomme als Antwort ein sehr klischeehaftes Bild, das wenig mit meinen Ideen und Erfahrungen gemein hat. Ich habe mir deswegen angewöhnt, interessiert nachzufragen, wenn jemand von seinem Fetisch berichtet. Häufig gelingt es mir, die Faszination eines Menschen nachzuvollziehen, wenn ich ihn erzählen lasse, was ihn daran begeistert und welche Gefühle es bei ihm auslöst. Das heißt nicht, dass ich diesen Fetisch dann teilen will, aber es verhilft zu Verständnis und Toleranz.

Ein bisschen mehr Toleranz könnten wir alle gebrauchen – für unteschiedliche Aspekte gelebter Sexualität und generell für individuelle Lebensentwürfe.

Die Sache mit den Anrufen

Wer bei mir einen Termin machen möchte, muss mich dafür (zumindest beim ersten Mal) anrufen, und das mit Nummer. Diese Woche hatte ich so viele Diskussionen darüber, dass ich das Thema gerade echt über habe! Ich komme noch aus einer Zeit, als man eine Nummer im Telefonbuch nachschlagen konnte und es völlig normal war, auch fremde Menschen anzurufen, um etwas zu erfragen. Auch heute noch gibt es genug andere Gelegenheiten, bei denen man Termine telefonisch vereinbaren muss, z.B. beim Arzt.

Wenn ich jemandem nach einer Anfrage im Internet meine Telefonnummer gebe mit dem Hinweis, mich bitte anzurufen, kommt ganz häufig: „Können wir das nicht hier machen?“, gefolgt von: „Hast du kein WhatsApp?“ Nein, ich habe kein WhatsApp o.ä. – ich habe nämlich am Tag auch noch was anderes zu tun als zu chatten! Wenn mich jemand anruft, haben wir meist in 1-3 Minuten alle wichtigen Fragen geklärt. Im Chat dauert dasselbe Gespräch schnell mal 1-2 Stunden, in denen ich immer wieder mein Handy in der Hand haben muss – es nervt!

Es ist übrigens völlig okay, auch einfach anzurufen und Fragen zu stellen und sich dann mit einem freundlichen „Okay, danke.“ wieder zu verabschieden. Ich dränge dann nicht auf einen Termin, sondern wünsche dir noch einen schönen Tag und hoffe, dass du dich wieder meldest. Wenn du wirklich zu schüchtern bist, Fragen am Telefon zu stellen, kannst du mir die auch im Internet schreiben – aber bitte dann in einer Mail und nicht als fortlaufendes Gespräch. Wenn du dir die Mühe machst, mir zu schreiben, wie du dir unser Treffen wünscht, kann ich die unkompliziert antworten, ob ich das kann und wie es ablaufen würde. Mich danach anzurufen und zu sagen: Hey, hier ist xy, wir hatten geschrieben, und ich würde jetzt gerne einen Termin absprechen.“ ist dann keine so große Hürde mehr.

Ansonsten geht es vielen darum, dass sie anonym bleiben wollen. Ganz funktioniert das bei mir nicht. Ich arbeite nicht (mehr) in einem Appartement, wo meist im Nebenzimmer eine Kollegin ist, sondern allein in einer Wohnung. Mir ist bewusst, dass eine Handynummer meine Sicherheit nicht garantieren kann, aber ich fühle mich sicherer, wenn dem Kunden bewusst ist, dass er nicht völlig anonym ist. Falls du an meiner Professionalität zweifelst und Angst vor Anrufen o.ä. hast, kannst du meine Nummer nach dem Termin ja einfach blockieren, oder dir gleich ein Prepaid-Handy zulegen, dass du nur für solche Zwecke nutzt.

Last but not least: 70 % der Kunden, die einen Termin anonym vereinbaren, kommen dann nicht zu diesem Termin. Da ist mir meine Zeit einfach zu schade für.

Tabus im Setting

Tabus sind ein relativ häufiges Thema im Paysex, und ich habe auch schon einige Male darüber geschrieben (zuletzt vor drei Tagen über die „Frage nach Tabus“, für weitere Texte von mir dazu einfach „Tabus“ ins Suchfeld auf dieser Seite eingeben). Meist geht es dabei um sexuelle Tabus, also dass was die Sexarbeiterin ihrem Kunden beim Sex nicht anbieten möchte. Es gibt jedoch auch Tabus, die die Person des Kunden betreffen (Alter, Aussehen etc) oder das Setting.

Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, einen Kunden im Auto oder Outdoor zu treffen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass ich keine Quickis mag und außerdem Wert auf einen Schutzraum für Sex lege, mich also gerne darauf verlasse ungestört zu sein und zu bleiben.

Auch Haus- und Hotelbesuche biete ich nicht an, überwiegend aus praktsichen Gründen (Fahrzeit und Aufwand), aber auch aus Sicherheitsfragen. Hotels sind noch sicher, aber bei einem Hausbesuch begibt sich die Sexarbeiterin schnell in eine unkontrollierbare Situation. Bei sehr guten Stammgästen habe ich schon mal begründete Ausnahmen gemacht und doch Hausbesuche gemacht. Es war okay, aber ich bevorzuge doch meine eigene Umgebung, in der ich diejenige bin, die durch das Setting die Stimmung beeinflusst.

Vorgestern hatte ich eine Anfrage, wo offensichtlich mein Profil nicht gelesen wurde, denn er fragte mich, ob ich ihn in einer Ferienwohnung besuchen würde. An sich keine ungewöhnliche Anfrage – wäre da nicht die Tatsache, dass er gleichzeitig erzählte, dass er dort mit seinem 7-jährigen Sohn Urlaub machen würde und ich ihn abends besuchen solle, wenn das Kind schläft. Ich habe selber keine Kinder und auch so gut wie nie mit Kindern zu tun, und die Vorstellung, Paysex zu haben, während im Nebenzimmer ein Kind schläft, dass jederzeit wach werden könnte, finde ich ganz furchtbar – und verantwortungslos vom Vater.

Generell ist das noch ein Punkt, der für mich deutlich gegen Hausbesuche spricht: Es gibt immer wieder Männer, die eine Sexarbeiterin zu sich nach Hause in die Familienwohnung einladen, während die Familie gerade in Urlaub ist. Das finde ich respektlos der Familie gegenüber! Wohnungen sind Rückzugsräume, und in dieser Situation ist in meinen Augen nicht nur der außereheliche Sex ein Vertrauensbruch, sondern noch mehr die Preisgabe von Schutzräumen an eine Fremde. Während ich die Frage der Untreue gut bei meinem Kunden lassen kann und mir da kein Urteil drüber bilde, möchte ich an dieser Form von Verrat nicht beteiligt sein.

Frage nach Tabus

Vor ein paar Tagen entstand mit einigen Kolleginnen eine Diskussion darüber, wie man am besten mit der Frage nach Tabus umgeht. Immer wieder mal bekomme ich Nachrichten, die wenig Informationen enthalten, aber dafür die Frage: „Was sind denn so deine Tabus?“

Für einige Menschen in der Paysex-Szene ist „tabulos“ ein Code dafür, dass Kontakt ohne Kondome angeboten wird. Da macht die Frage nach meinen Tabus aber meiner Meinung nach keinen Sinn, sondern es wird eher gefragt: „Bist du denn auch tabulos?“ Wie auch immer, das ist meist meine erste und einzige Antwort auf diese Frage: „Meine Tabus sind alles, was nicht safe ist.“ Das ist für mich ein weites Feld, denn unter safe fällt für mich nicht nur Safer Sex, sondern auch ein verantwortungsvoller Umgang mit SM-Techniken und der Verzicht auf jede Form von Drogen.

Jede Frau hat Tabus, also Dinge, die sie so gar nicht mag. Manchmal können das ganz unerwartete Dinge sein; mich z.B. turnt Dirty Talk total ab. Häufig werden da Dinge wie Analverkehr genannt, oder verschiedene Formen von Spermaspielen, oder die klassischen Paysex-Tabus Küssen und Fingern.

Ich habe viele Dinge, die ich nicht als Tabus bezeichnen würde, sondern eher als das Gegenteil von Vorlieben. Z.B. kann ich nicht viel mit LackLederLatex anfangen, oder Rollenspielen. Ich habe da mal kurz mit experimentiert, aber es gibt mir nichts, und selbst wenn ich einem Kunden damit einen Gefallen tun will, kommt es nicht überzeugend rüber. Es sind keine echten Tabus, aber der Kunde ist einfach bei einer anderen Kollegin besser aufgehoben, die solche Spiele mit Überzeugung und Begeisterung spielen kann.

Was mich am meisten an der eingangs erwähnten Frage nach Tabus irritiert, ist, dass sie so ziellos ist. Wenn ich davon ausgehe, dass da nicht indirekt nach AO-Sex gefragt wird, sondern jemand wirklich meine Tabus wissen will, dann fange ich jetzt an, beliebig Tabus und Abneigungen aufzuzählen. Wahrscheinlich wird die Liste nie vollständig sein, und vieles auf der Liste wird den Kunden eh nicht interessieren.

In meinen Augen macht es also viel mehr Sinn, mir von Vorstellungen und Fantasien zu erzählen, und ich kann dann sagen, ob ich das umsetzen kann oder nicht. Es macht Sinn, nach einer bestimmten Sache zu fragen, die einem als Kunde besonders wichtig ist (gerade wenn man die Erfahrung gemacht hat, dass diese Sache für manche Sexarbeiterinnen ein Tabu ist). Werde konkret bei einer Anfrage, erzähle was dich an meinem Profil anspricht und was du mit mir erleben möchtest – das führt viel eher zum Erfolg, als dich an meinen willkürlich genannten Vorlieben und Abneigungen zu orientieren. Diese sind ein erster Anhaltspunkt, sagen aber nach meiner Erfahrung wenig darüber aus, ob wir im Spiel auf einer Wellenlänge liegen werden oder nicht.

Prostitution als Rollenspiel

In einer Veranstaltungsbeschreibung eines Swingerclubs las ich vor ein paar Tagen: „Heute Nacht haben die Theken-Huren Ihren Auftritt und wollen diesen zu einem besonderen Erlebnis machen. Diese Party richtet sich an sehr aktive Swinger, die das Besondere mögen: Den gepflegten Herrenüberschuss, das Ausgeliefert sein an den Fremden oder das Dasein als Prostituierte.
Hemmungslose Huren und deren Freier kommen heute auf ihre Kosten!“

Es geht bei diesem Partykonzept nicht wirklich um Prositution (was in dieser Location auch nicht zulässig wäre), sondern um ein Rollenspiel. Die Frauen spielen Huren, die bestimmte sexuelle Gefälligkeiten gewähren, die vorher von ihrem Zuhälter (ihrem Partner oder einem gestellten Begleiter) ausgehandelt werden (im Rahmen von Tabus und Vorlieben); bezahlt wird mit einer Spiel-Währung, die strickt limitiert ist.

Bei mir ruft ein solches Partykonzept sehr gemischte Gefühle hervor. Ich kann verstehen, dass es Frauen gibt, die sich in der Rolle sexy fühlen – das tue ich bei meiner Arbeit schließlich auch. Aber Sexarbeit ist ein so schwieriges gesellschaftliches Thema, mit so vielen verschiedenen Aspekten, dass es sich für mich komisch anfühlt, wenn darauf ein Spiel gemacht wird, in dem es nur um Klischees geht. Neben der Sexyness geht es auch bewusst darum, sich als Frau ausgeliefert zu fühlen – und das ist für mich in keinem Kontext ein positives Gefühl.

Andererseits muss ich vielleicht bedenken, dass ich generell nicht viel mit Rollenspielen anfangen kann. Und Hure-Freier ist ja ein ganz typisches Rollenspiel, so wie Chef-Sekretärin, Lehrerin-Schüler etc – es gibt bestimmt Kolleginnen, die da sehr bewandert mit sind, und Paare, die sich privat in solchen Spielen ausprobieren.

Sexueller Besitz

„Du bist eine sehr kluge Frau. Finde eine normale Arbeit. Dann können wir über uns reden.“ Das war eine der letzten Nachrichten, die ich von ihm bekommen habe, in diesen Wochen, in denen er sich mit viel Schweigen und wenigen Erklärungen von mir getrennt hat.

Diese Aussage ist an so vielen Stellen falsch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich lasse als erstes die Frage zur Seite, wie wir es geschafft haben, monatelang so aneinander vorbei zu reden – Beziehungen sind immer komplexer, als es sich in wenige Sätze packen lässt. Viel mehr beschäftigt mich gerade die Frage, wieso er meint, ein automatisches Exklusiv-Recht auf meinen Körper und meine Sexualität zu haben.

Vor einigen Wochen habe ich folgendes in einem Buch gelesen: „Das Anrecht auf sexuellen Besitz. Als erotisches Eigentum verstehen wir die Befriedigung von sexuellen Bedürfnissen innerhalb der Ehe und den Anspruch auf den Körper und die Sexualität des*der Partner*in. Im Grunde genommen das, was wir bis heute in der seriellen Monogamie leben.“

Ich habe das Konzept der Monogamie ehrlich gesagt nie ganz verstanden, und mich in den letzten Jahren auch zumeist geweigert, irgendwem Versprechungen in diese Richtung zu geben. Immer wieder erstaunt es mich, wie viele Menschen Monogamie in einer Beziehung als Selbstverständlichkeit und Voraussetzung sehen – wo die Realität doch zumeist ganz anders aussieht.

Jemand hat sich mal die Mühe gemacht, sich mit Zahlen zum Thema Treue zu beschäftigen. Er fand, dass 90% aller Männer und 75% aller Frauen mindestens ein Mal in ihrem Leben fremdgehen, dass also in 2/3 alle Beziehungen Untreue vorkommt und die Chance, dass die eigene Beziehung wirklich monogam ist, bei unter 50% liegt. Trotzdem werden wohl die meisten Menschen automatisch behaupten: „Mein Partner macht sowas nicht.“ und da fest von überzeugt sein.

Ich war häufig „die Andere“, also die Frau, mit der Männer fremdgegangen sind (in meiner Rolle als Sexarbeiterin und ein paar Mal auch in meinem Privatleben). Ich bekomme mit, wie selbstverständlich manche Männer dies tun, und wie schwer sich manch andere damit tun, und ich bekomme mit, wieviel Aufwand dafür betrieben wird – und dass es wirklich so gut wie keine Möglichkeit gibt, es zu verhindern. (Da habe ich eine schöne Geschichte zu, die ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt in einem eigenen Text erzählen werde. Genauso wie Gründe und Methoden beim Fremdgehen einen Text für sich verdienen.)

Wenn Fremdgehen also eher Normalität als die Ausnahme ist, warum behaupten dann so viele Menschen stur das Gegenteil? Weil sie den anderen Menschen als ihren Besitz ansehen und nicht bereit sind, sich mit ihren eigenen Gefühlen (Verlustangst, Eifersucht etc) auseinanderzusetzen, und nur begrenzt die Verantwortung für die Sexualität der Beziehung übernehmen.

Bin ich verantwortlich für die Sexualität meines Partners? Die meisten Menschen würden das erst mal mit Nein beantworten. Das hängst zusammen mit den oben erwähnten „ehelichen Pflichten“, die zu recht abgeschafft wurden. Andererseits: wenn ich meinem Partner jegliche Sexualität außerhalb der Beziehung verbieten will, muss ich mich dann nicht verantwortlich fühlen für seine sexuelle Erfüllung? Versteht mich nicht falsch: Ich glaube nicht, dass ich jeden Wunsch meines Partners erfüllen muss. Aber ich muss gemeinsame Sexualität aktiv leben und gestalten und mich mit den Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen.

Treue und gelebte Monogamie sind für mich ein Ideal und ein Geschenk. Etwas, woran jeder Mensch für sich in seiner Partnerschaft aktiv arbeiten kann, indem er sich immer wieder auf den Partner konzentriert und in Kontakt geht. Gleichzeitig sollten wir im Hinterkopf haben, wie menschlich es ist, auf diesem Gebiet zu versagen – und es dann vielleicht nicht als das große Drama sehen, sondern als Stolperstein. Um nach dem Stolpern wieder aufzustehen und weiterzumachen.

Zurück zu meiner zerbrochenen Beziehung: Ich habe mich in den letzten Monaten durchaus als monogam erlebt. Ich habe meine Sexualität und große Teile meines Lebens auf meinen Partner ausgerichtet. Ich war aber nicht bereit, für eine gerade begonnene Beziehung mein ganzes Leben über den Haufen zu werfen. Ich liebe meine Arbeit, ich mache sie gerne und bin gut darin, und sie gibt mir viele Freiheiten. Ich kann mir auch nicht mehr vorstellen, angestellt zu arbeiten. Ich habe die Option gesehen, mich noch mehr auf andere Tätigkeiten zu konzentrieren und die Sexarbeit vielleicht irgendwann auslaufen zu lassen. Aber das wäre ein langer Prozess gewesen, der einer Entwicklung in der Beziehung bedurft hätte – und garantiert nichts, was sich mal eben so zur Voraussetzung machen lässt.

Preise und Marketing

Dies wird ein sehr verletzlicher Text. In den letzten Jahren habe ich versucht, es mir abzugewöhnen, mich zu verteidigen oder rechtfertigen. Manchmal habe ich aber immer noch das Bedürfnis, mich zu erklären und dazu einzuladen, eine Situation auch ein mal aus meinem Blickwinkel zu sehen.

Heute bekam ich einige anonyme Nachrichten von einem Mann, der meines Wissens nach nie bei mir gewesen ist, also nichts über mich und meine Arbeit wusste außer dem, was in meinem Anzeigenprofil steht. Er warf mich Betrug vor und sagte, ich würde versuche meine Kunden für dumm zu verkaufen, gefolgt von einem hämischen „Für Nutten läuft’s wohl auch nicht mehr so gut!“ und dem Hinweis, dass er im Forum schon alle vor mir gewarnt hätte. Meistens gelingt es mir, solche Nachrichten zu löschen und abzuschütteln, aber heute hatte ich einen Tag, an dem es mich getroffen hat.

Der Auslöser dieser Tirade war, dass ich ja zum 1.3. meine Preise erhöht habe, und jetzt habe ich gerade zum ersten Mal in meiner Laufbahn ein Angebot mache und Nachlässe gewähre auf meine Preise, nämlich 50 Euro Nachlass auf jeden Termin an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag im Mai. Hintergrund ist, dass ich im Normalfall 85 Prozent meiner Termine unter der Woche mache (und es meist auch genieße, das Wochenende für mich zu haben); im Mai bin ich jedoch eine Woche von Montag bis Freitag auf einem Seminar und habe auch sonst einige Termine mit meiner anderen Arbeit, so dass mir nicht so viele Tage für Dates zur Verfügung stehen. Deswegen habe ich versucht, einen Anreiz zu schaffen für meine Kunden, ihre Dates mit mir aufs Wochenende zu legen.

Die Interpretation des Schreibers war jedoch, dass ich die Preise erhöht hätte und jetzt Nachlässe gewähre, also im Endeffekt dasselbe Geld verlange, es aber als Nachlass verkaufe/ bewerbe. Das war nie meine Absicht und erst Recht habe ich da nicht dran gedacht, als ich die Preise angehoben habe. Wie ich im März schon geschrieben habe, hängt der Preisanstieg mit den gestiegenen Kosten in allen Lebensbereichen zusammen, und ist meine erste Preiserhöhung seit neun Jahren.

Nochmal konkret zu meiner Preisgestaltung: Vor Corona, als ich noch im Studio Glamoresse gearbeitet habe, hatte ich gestaffelte Preise: 100 Euro für Massagen, 150 Euro für zärtlilche Erotik, 200 Euro für bizzare Erotik, 200-250 Euro für SM-Spiele. Ich gebe mich jedoch gern dem Fluss des Spiels hin und finde es eher nervig, mir schon am Anfang zu überlegen, in welcher Preiskategorie wir uns denn wohl bewegen werden, und/ oder zwischendrin zu unterbrechen mit „Da krieg ich aber mehr Geld für!“. Also habe ich meinen Preis 2020 pauschal auf 150 Euro festgelegt, unabhängig vom Inhalt. Jetzt habe ich ihn angehoben auf 200 Euro.

Als ich vor der Preiserhöhung bei kaufmich gesurft habe, hatte ich den Eindruck, dass schon relativ viele Anbieterinnen bei 200 Euro sind. Seitdem habe ich jedoch von mehreren Seiten gehört, dass das nicht der Fall ist, sondern ich damit schon eher zum höherpreisigen Segment gehöre. Ich halte den Preis jedoch für absolut gerechtfertigt unter dem Aspekt, dass es ein Pauschalpreis ist und garantiert keine weiteren Kosten dazukommen. Wie schon erwähnt liegt sonst rein die zärtliche Erotik bei 150 Euro die Stunden. Viele Anbieterinnen berechnen Aufschläge für Anal, NS, Dominanz u.ä. Ich könnte also problemlos 150 Euro die Stunde nehmen und dann Extras dazuberechnen, dann wäre mein Preis wahrscheinlich in vielen Fällen sogar deutlich über 200 Euro. (Ungefähr 70 Prozent meiner Termine enthalten mehr oder weniger bizzare Elemente.)

Ansonsten gilt auch einfach: Mein Spiel, meine Regeln! Ich bin Dienstleisterin und mache ein Angebot, dass einen bestimmten Preis hat. Wem dieser Preis zu hoch ist, der kann gerne schauen, ob er ein ähnliches Angebot bei einer anderen Sexarbeiterin zu einem günstigeren Preis findet (wahrscheinlich schon, ob mit dem gleichen Können und professionellen Umgang sei dahingestellt). Last but not least: Stammkunden verliere ich durch die Preiserhöhung nicht, die wissen was sie an mir haben, und ein Großteil meiner Termine sind Stammkunden.

Schattenwelten

Vor kurzem habe ich den Begriff „Schattenwelt“ im Zusammenhang mit Sexarbeit gelesen. Genauso erlebe ich es gerade auch wieder vermehrt: dass ich mich in einer Welt bewege, die für mich selbstverständlich ist, die aber sehr weit weg ist von den Erfahrungen der meisten Menschen und demnach für viele absolut unvorstellbar. Das gilt nicht nur für Sexarbeit, sondern für viele Szenen, die sich mit Sexualität beschäftigen, die etwas abseits der Norm liegt: SM, Fetische, Swinger, alternative Beziehungsformen etc.

Ich bewege mich in vielen dieser Bereiche selbstverständlich, und mich kann nur Weniges irritieren. Sexualität hat für mich etwas Spielerisches, und ich habe Sex mit großer Selbstverständlichkeit, ohne es immer ganz ernst zu nehmen. Das kann andere Menschen enorm irritieren.

Gerade bin ich mal wieder in einer Situation, in der ich mir überlegen muss, wieviel ich von mir und meinem Leben erzählen möchte. Wenn ich mich Menschen verbunden fühle, kommt irgendwann der Punkt, an dem ich mir überlegen muss, ob ich die Begegnung fortführen kann, ohne von meinem Umgang mit Sexualität zu erzählen und dem großen Stellenwert, den das Thema in meinem Leben hat, oder ob das Verschweigen dieses Teils meines Lebens dazu führt, dass die Begegnung immer an der Oberfläche bleibt, derjenige mich nie wirklich kennenlernt und es sich irgendwann unecht anfühlt.

Ich habe die Entscheidung schon in beide Richtungen getroffen, und häufig bewege ich mich irgendwo in der Mitte. Haben Menschen überhaupt ein Recht darauf, das von mir zu wissen? Manche Menschen fühlen sich betrogen, wenn ich es verschweige und sie später durch Zufall darüber stolpern. Bei Affären oder gar Partnern (also Menschen mit denen ich privat Sexualität teile) mag das richtig sein. Bei platonischen Freunden finde ich nicht, dass ich verpflichtet bin, das von mir zu erzählen.

Bisher bin ich zum Glück nur selten komplett abgelehnt worden, wenn ich von diesem Teil meines Lebens erzählt habe. Meist begegne ich vorsichtiger Neugier, oder auch mal Zurückhaltung und „ich will es lieber nicht so genau wissen“. Beides ist okay für mich, und ich kann von dort aus weitermachen und den Fokus wieder auf andere Dinge richten.

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