Blog von Tina, Sexarbeiterin aus Hamburg

Monat: April 2023

Penisbilder

Neulich war es mal wieder so weit: ein Penisbild zum Frühstück. Im sonstigen Internet gilt das ungefragte Zusenden von Penisbildern mittlerweile als sexuelle Belästigung und ist strafbar. (Es kann sogar ziemlich unkompliziert online angezeigt werden.) Für Sexarbeiterinnen scheint das in den Augen vieler Kunden noch nicht zu gelten.

Diesmal gab es als erstes ein kurzes Anschreiben a la „Lust auf ein Date“, direkt gefolgt von einem Gesichtsbild. Als ich das dann freundlich benatwortet hatte, kam das Penisbild mit dem Kommentar „Gefällt?“ Ganz ehrlich, was soll ich dazu sagen?!

Ich gehöre auch als Sexarbeiterin zu den Frauen, die mit Penisbildern nichts anfangen können. Es hilft mir noch nicht mal, die Größe einzuschätzen (Zentimeterangaben übrigens auch nicht), und ich finde es auch weder sexy noch ästhetisch. Privat mag ich ästhetische Aktbilder, aber die müssen wirklich gut gemacht sein und kein Spiegel-Selfie (außer vielleicht der Körper ist wirklich perfekt, dann kann das nichts entstellen).

Generell zum Thema Bilder: Sie interessieren mich nicht. Keine Penisbilder, und auch Gesichtsbilder/ Schnappschüsse nicht besonders. Ich habe noch nie einen Kunden wegen seines Aussehens abgelehnt, und auch privat habe ich keinen bestimmten Typ, sondern gucke immer auf das Gesamtpaket, das einen Menschen ausmacht.

Ein nettes Lächeln auf einem Bild kann Sympathiepunkte sammeln – das tut ein durchdachtes Anschreiben und Zuverlässigkeit aber auch.

Schattenwelten

Vor kurzem habe ich den Begriff „Schattenwelt“ im Zusammenhang mit Sexarbeit gelesen. Genauso erlebe ich es gerade auch wieder vermehrt: dass ich mich in einer Welt bewege, die für mich selbstverständlich ist, die aber sehr weit weg ist von den Erfahrungen der meisten Menschen und demnach für viele absolut unvorstellbar. Das gilt nicht nur für Sexarbeit, sondern für viele Szenen, die sich mit Sexualität beschäftigen, die etwas abseits der Norm liegt: SM, Fetische, Swinger, alternative Beziehungsformen etc.

Ich bewege mich in vielen dieser Bereiche selbstverständlich, und mich kann nur Weniges irritieren. Sexualität hat für mich etwas Spielerisches, und ich habe Sex mit großer Selbstverständlichkeit, ohne es immer ganz ernst zu nehmen. Das kann andere Menschen enorm irritieren.

Gerade bin ich mal wieder in einer Situation, in der ich mir überlegen muss, wieviel ich von mir und meinem Leben erzählen möchte. Wenn ich mich Menschen verbunden fühle, kommt irgendwann der Punkt, an dem ich mir überlegen muss, ob ich die Begegnung fortführen kann, ohne von meinem Umgang mit Sexualität zu erzählen und dem großen Stellenwert, den das Thema in meinem Leben hat, oder ob das Verschweigen dieses Teils meines Lebens dazu führt, dass die Begegnung immer an der Oberfläche bleibt, derjenige mich nie wirklich kennenlernt und es sich irgendwann unecht anfühlt.

Ich habe die Entscheidung schon in beide Richtungen getroffen, und häufig bewege ich mich irgendwo in der Mitte. Haben Menschen überhaupt ein Recht darauf, das von mir zu wissen? Manche Menschen fühlen sich betrogen, wenn ich es verschweige und sie später durch Zufall darüber stolpern. Bei Affären oder gar Partnern (also Menschen mit denen ich privat Sexualität teile) mag das richtig sein. Bei platonischen Freunden finde ich nicht, dass ich verpflichtet bin, das von mir zu erzählen.

Bisher bin ich zum Glück nur selten komplett abgelehnt worden, wenn ich von diesem Teil meines Lebens erzählt habe. Meist begegne ich vorsichtiger Neugier, oder auch mal Zurückhaltung und „ich will es lieber nicht so genau wissen“. Beides ist okay für mich, und ich kann von dort aus weitermachen und den Fokus wieder auf andere Dinge richten.

Buchempfehlung: „Give a fck“

Letztes Jahr ist ein Buch erschienen, dass meiner Meinung nach einen wichtigen Beitrag zu den aktuellen Diskussionen über Sexarbeit in Deutschland leistet. Die Journalistin Catrin Altzschner, bekannt für einen Podcast über Sexualität und Beziehungen („Intimbereich“ bei 1Live/WDR) hat sich der Aufgabe angenommen, neutral verschiedene Sexarbeiter*innen zu Wort kommen zu lassen und so die unterschiedlichen Aspekte von Sexarbeit zu sammeln. Darüber hinaus macht sie sich eigene Gedanken zu Themen, die unser Denken über Sexarbeit und den Umgang damit beeinflussen können.

Zu Wort kommen einige Sexarbeiter*innen, die mir aus dem Umfeld des BesD (Berufsverband Sexarbeit e.V.) und/ oder von ihren Social Media Profilen vertraut sind, aber auch (teile ehemalige) Sexarbeiter*innen, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen (wollen). Den Anfang macht Madame Kali, die ich sehr bewundere für ihren Einsatz für selbstbestimmte Sexarbeit. Auch Master Andre, ein bekannter Dominus und Escort aus Berlin, und Nina de Vries, die Vorreiterin im Bereich Sexualassistenz, kommen zu Wort. Darüber hinaus Personen, die sich weniger medienwirksam präsentieren und andere Aspekte von Sexarbeit beleuchten: Daria, die froh über ihren Ausstieg ist; Nicole und Sarah, die ihr Geld auf der Straße verdienen; Andrada, die es aus Rumänien in ein Bordell im Ruhrgebiet verschlagen hat, und Lena, die sich eine Zeit lang als Sugarbabe ausprobiert hat.

Catrin Altzschner geht darüber hinaus nicht so sehr auf den aktuellen politischen Streit zwischen Vereinen, die sich für das Nordische Modell einsetzen, und selbstbestimmten Sexarbeiter*innen (überwiegend vertreten durch den BesD), die für mehr gleichberechtigte Legalität kämpfen, ein, sondern beschäftigt sich stattdessen mit der Frage, welchen Einfluss andere gesellschaftliche Themen auf Sexarbeit haben. Sie spricht über privaten sexuellen Tauschhandel, Armut, den Heilige-Hure-Komplex, die Frage wie die Gesellschaft generell mit weiblicher Lust umgeht, über Menschenhandel und Pornografie. Dabei liefert sie viele neue Denkanstösse, ohne eigene Standpunkte überzubetonen.

Das Buch ist leicht zu lesen, ich hatte es in wenigen Stunden durch – und werde es garantiert noch häufiger zur Hand nehmen, um bestimmte Themen vertiefend zu reflektieren. Leseempfehlung für alle, die sich für Zusammenhänge und Vielfalt interessieren.

Musikgeschmack

„Music is sex“, heißt es manchmal, und ich stimme dem zu: Musik kann wahnsinnig erotisch sein und beeinflusst in jedem Fall die Stimmung. So ist die Frage, was für Musik ich bei einem Treffen spiele, auch häufig nicht ganz unbedeutend.

Mein eigenes Musikgeschmack ist relativ breit gefächert, aber auch häufig etwas beliebig. Ich höre etwas Neues oder denke an Musik von früher, und dann höre ich diese Musik für einige Tage oder Wochen, bevor mir etwas Anderes begegnet.

Für Musik bei Treffen gibt es zwei unterschiedliche Strategien: Ich stimme die Musik entweder auf die Stimmung ab, die ich bei dem Treffen erzeugen möchte, oder auf meine eigene Stimmung an dem Tag. Beides beeinflusst sich gegenseitig.

In dem Studio, in dem ich einige Jahre gearbeitet habe, gab es im SM-Raum eine eigene Musik – perfekt auf die Stimmung abgestimmt, sie nahm jeden sofort mit in diese düster-erotische Welt. Nur: irgendwann konnten wir Frauen dort die immer selbe Platte einfach nicht mehr hören!

In meinem Zimmer jetzt läuft häufig Kuschelrock, keltische Klänge oder sanfte Ambient-Musik. Ab und zu spiele ich noch die Yoga-Musik, die ich früher bei Tantra-Massagen genutzt habe. Reine Instrumental-Entspannungs-Musik nur noch sehr selten, das trägt mich zu wenig. Ab und zu spiele ich mal ein Album eines Künstlers, der mich gerade beschäftigt (solange es ruhig genug ist).

Ab und zu treten auch Kunden mit Musikwünsche an mich heran. 80er-Musik ist ziemlich beliebt. Ich habe aber auch schon zu einer keltischen Musik massiert, zu Opern oder sogar mal zu Heavy Metall.

Geschichte: Music is se..nsual

„Darf ich dich um etwas bitten?“ Ich nickte, lächelte und sah ihn erwartungsvoll an. „Du hattest mal eine Playlist mit 80er-Liebesliedern laufen, die hätte ich gerne wieder. Und würdest du dich bitte noch nicht ausziehen.“ Etwas ratlos griff ich nach meinem Tab. Meine Musik lief meist über einen Streaming-Kanal und ich hatte keine Ahnung, auf welchem ich jetzt so schnell 80er-Musik finden sollte. Relativ schnell fand ich eine Playlist „Lovesongs der 80er und 90er“ – das sollte passen!

„Everything I do I do it for you“ sang Bryan Adams im Hintergrund, als er aus dem Bad kam und mich in den Arm nahm. Seine Hände strichen über meinen Körper in dem engen roten Kleid, er drückte mich an sich und wir wiegten uns leicht im Takt der Musik. Ich musste lächeln, da ich daran dachte, dass ich wohl seit Teenager-Zeiten keinen solchen Blues mehr getanzt hatte. Ich lehnte den Kopf an seine Schulter, und seine Lippen glitten ganz sanft über mein Schlüsselbein.

„And I never gonna dance again…“ flüstert George Michael in einem „Careless Whisper“. Er drehte mich von sich weg, so dass ich mich mit dem Rücken gegen seine Brust lehnen kann. Seine Hände strichen über meine Taille nach oben, berührten kurz meine Brüste, wanderten dann wieder nach unten.

Von Robby Williams „Angels“ bekam ich nicht so viel mit, da er mir das Kleid über den Kopf zog und mich aufs Bett legte. Seine Lippen folgten der Spur seiner Hände über meinen Körper. Ich griff nach seinem Körper, wollte ihn berühren, doch meinen Bemühungen blieben müssig. „It’s no sacrifice…“ sang Elton John, und nein, mit einem Opfer hatte das hier nichts zu tun. Zu sehr war ich mit seinen Berührungen auf meiner Haut beschäftigt und seiner Zunge, die sich den Weg zwischen meine Beine suchte.

Während er mich verwöhnte, ließ ich meine Hand zwischen seine Beine gleiten und umfasste seinen Penis, um ihn sanft zu stimulieren. „That’s the way love goes“ besang Janet Jackson dazu im Hintergrund, und ich musste an die sinnlichen Bilder des Musikvideos denken, dass ich vor so langer Zeit im Fernsehen gesehen hatte.

Die Stimmung war so angeheizt, dass selbst die Backstreet Boys mit ihrem „I don’t care who you are, what you did, as long as you love me“ sie nicht stören konnten. Sein Köper bewegte sich über mir, sein Atem auf meiner Haut, der zu einem Stöhnen würde, während ich ihn weiter streichelte, bis sein Sperma auf meine Haut spritzte.

Danach lagen wir aneinander gekuschelt und ließen uns von Tina Turner erklären, dass „it’s only physical… what’s love got to do with it“.

Lust auf ein Date

Immer wieder führe ich Diskussionen darüber, warum ich denn keine spontanen Termine mache und dass derjenige aber nur spontan kann. Meist ist das Argument, dass man sich zeitlich nicht festlegen kann (beruflich oder familiär). Manchmal ist das Argument aber auch, dass man halt gerade jetzt Lust auf Erotik hat – und morgen vielleicht schon nicht mehr.

Ehrlich gesagt mag ich dieses Argument überhaupt nicht. Wir sollten alle als Kinder gelernt haben, dass wir nicht alles sofort und nach unseren Launen haben können. Das funktioniert noch nicht mal beim Essen, und bei Erotik mit einem anderen Menschen erst recht nicht; insgesamt spielt unsere Konsumwelt zwar mit dem ständigen Versprechen von sofortiger Bedürfnisbefriedigung, mir fällt aber nichts ein, wo das wirklich möglich ist.

Für mich hat sofortige Bedürfnisbefriedigung beim Sex auch immer was von Druckabbau, vor allem im Paysex. Mit Erotik hat das nichts zu tun, und mit Begegnung auch nicht. Das ist also schon seit vielen Jahren nicht mehr das, was ich anbieten will. Im Privatleben würde man ein solches Verhalten „Bootie Call“ nennen, und es wird zu Recht belächelt. Das kann man vielleicht als Single mit viel Zeit und vielen oberflächlichen Kontakten so halten, aber in den meisten Beziehungen und auch Affären muss man sich verabreden.

Ich mag es auch, mich auf einge erotische Begegnung freuen und vorbereiten zu können, sowohl privat als auch bei bezahlten Dates. Lust ist für mich auch etwas, das ich aktiv aufbaue und gestalte, und nichts auf das ich wie eine inspirierende Eingebung warte.

Selbstexperiment Atem

Eines der ersten Dinge, die ich in meiner Tantra-Ausbildung vor vielen Jahren gelernt habe, sind die drei Schlüssel zur Lust: Atem, Stimme und Bewegung. Es ist schwierig bis unmöglich, Lust und Ekstase im Körper wirklich zu spüren und auszuleben, wenn man seinen Gefühlen nicht Ausdruck verleiht – über heftigeres Atmen, über Töne und über Bewegungen.

Im Yoga beschäftigen wir uns sehr viel mit dem Atem. Ich praktiziere schon seit vielen Jahren bestimmte Atemübungen, die die Stimmungen im Laufe des Tages beeinflussen und die Energie anheben. Seit 1,5 Jahren achte ich vermehrt darauf, nicht durch den Mund zu atmen, sondern ausschließlich durch die Nase. In meinen Yogastunden gelingt mir das häufig, aber es kostet viel Konzentration.

In einem Buch habe ich jetzt gelesen, dass man versuchen kann, die Lippen zuzukleben, um die Mundatmung zu unterbinden und so den Körper umzugewöhnen. Das versuche ich jetzt abends wenn ich zu Hause bin und nachts im Bett. Vor ein paar Tagen lag ich also abends im Bett, den Mund mit einem Klebeband verschlossen, und spielte noch auf meinem Tab herum.

Aus einer Laune heraus startete ich einen erotischen Film und griff dabei nach meinem Vibrator. Das ist ein häufiges Einschlaf-Ritual von mir; ein Orgasmus hilft mir meist beim Einschlafen, wenn ich noch unruhig bin. Doch diesmal fiel es mir schwer. Zuerst verstand ich nicht, wieso mein Körper nicht wie gewohnt reagierte. Es ist ja nicht so, dass ich laut stöhne, wenn ich mit mir alleine bin. Und doch sind es viele kleine, fast unbewusste Dinge, die meiner Lust Ausdruck verleihen: ein Zurücknehmen des Kopfes, ein verstärktes Ausatmen, ein Beben der Lippen – alles Dinge, die ich durch das Klebeband unterbunden hatte.

Ich habe es trotzdem zu einem Orgasmus geschafft, und beim nächsten Mal werde ich daran denken, das Klebeband vorher zu entfernen. Für mich war das aber eine total spannende Beobachtung, wie so etwas kleines wie Atem, Stimme, Bewegung, das mit absolut selbstverständlich geworden ist und über das ich schon seit Jahren nicht mehr nachgedacht habe, doch das ganze Lustgeschehen beeinflusst. Eine sinnvolle Erinnerung!