Heute ist der sehr volle, intensive erste Monat des Jahres sehr unrühmlich zu Ende gegangen. Ich habe viel erlebt und gemacht in diesem Monat: eine Ausbildung wieder aufgenommen, viele spannende Dates mit neuen und bekannten Kunden, einige Dinge in meinem Leben neu überdacht und Weichen für die Zukunft gestellt. Ein wenig fehlte mir dabei ruhige Zeit für mich. Vielleicht haben mich deshalb zwei Ereignisse der letzten Tage sehr getroffen.
Das erste war vorgestern. Ich hatte ein Treffen mit einem Stammkunden, den ich schon seit über zehn Jahre kenne. Vor zwei oder drei Jahren brachte er mir das erste Mal eine Flasche Wein mit, als kleine Aufmerksamkeit. Ich freute mich darüber und bedankte mich. Danach wurde es zur Gewohnheit: bei jedem Treffen bekam ich eine Flasche Wein, manchmal auch zwei, etwa alle sechs Wochen. Irgendwann wies ich ihn darauf hin, dass ich gar nicht so viel Wein trinke, sondern nur alle paar Monate mal eine Flasche aufmache, und sich bei mir die Flaschen langsam sammelten.
Er ging nicht weiter darauf ein und bei mir sammelten sich weiter die Flaschen. Manchmal machte ich eine auf, trank innerhalb eine Woche zwei oder drei Gläser davon, bevor der Rest verdarb und ich ihn wegschüttete (was ich schade fand). Ich schenkte einige Flaschen weiter an Freunde, da es mir zu viele wurden. Ich versuchte erneut, ihn darauf hinzuweisen, dass mir das zu viel Wein war. Aber für ihn gehört die abendliche Flasche Wein zum Alltag und es scheint ihm nicht verständlich, dass ich einen sehr vorsichtigen Umgang mit Alkohol habe und dieser in meinem Alltag eher keine Rolle spielt.
Im Dezember brachte er mir erst eine Flasche Glühwein mit, über die ich mich freute, und dann beim nächsten Treffen eine ganze Kiste mit sechs Flaschen. Das würde bei mir für viele Winter reichen! Zumal ich gerade mit einer Ärztin über die Einnahme eines HIV-Prophylaxe-Medikaments sprach und nichts davon halte, die Wirkung von Medikamenten durch Alkohol zu verändern. Ich schrieb meinem Kunden eine Nachricht, dass ich ab Januar keinen Alkohol mehr trinken würde und er mir bitte keinen Wein mehr mitbringen solle.
Beim ersten Treffen Januar brachte er mir stattdessen Schokolade mit, fing aber noch eine lange Diskussion mit mir an, ob ich denn wirklich keinen Alkohol dürfe und für wie lange (ich sagte dass ich mindestens ein Jahr keinen Alkohol trinken würde). Beim nächsten Treffen zwei Wochen später hielt er wieder eine Flasche Wein in der Hand. Als ich ihn darauf hinwies, dass ich doch keinen Alkohol trinke, stellte er die Flasche ab und sagte: „Kannst du ja aufbewahren.“ Einen Moment lang habe ich das geschluckt, dann bin ich richtig pampig geworden und habe ihm gesagt, dass ich das absolut daneben fand. Seine Reaktion: „Ich hab es ja nicht böse gemeint.“ Ich habe ihn dann die Flasche wieder mitnehmen lassen.
Ich habe viele Menschen in meinem Bekanntenkreis, die keinen Alkohol trinken, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Und ich hasse es, wenn jemand darüber diskutieren muss! Es gibt gute Gründe gegen Alkohol: Wechselwirkungen mit Medikamenten, Alkoholprobleme in der Vergangenheit, religiöse Gründe, oder auch einfach das Gefühl, es körperlich oder psychisch nicht gut zu vertragen oder nicht zu mögen. Ich finde es schlimm, wenn jemand sich dafür rechtfertigen muss, und verstehe auch dieses Drängen von Außen überhaupt nicht.
Das zweite sehr unschöne Erlebnis hatte ich heute Morgen. Eigentlich war es nur eine Kleinigkeit, aber es war ein Tropfen der das Fass nach vielen Jahren zum Überlaufen brachte. Schon seit fast drei Jahren mache ich keine spontanen Termine mehr, da Sexarbeit nicht mehr mein einziger Beruf ist. Vorher hatte ich nachmittags feste Zeiten im Appartement, für Termine am Vormittag oder später am Abend brauchte ich auch Vorlauf. Schon zu dieser Zeit rief mich dieser Kunde häufig vormittags an und fragte nach einem spontanen Termin. Auch ihn kenne ich schon sehr lange und daher habe ich es manchmal möglich gemacht.
In den letzten Jahren ist das für mich noch schwieriger geworden und für jeden dieser Termine musste ich meine komplette Tagesplanung über den Haufen werfen. Immer wieder habe ich versucht ihm zu erklären, wie schwierig das für mich ist, und in den letzten Jahren auch mehr und mehr dieser Termine abgelehnt. Manchmal bin ich pampig geworden, dann war es für ein paar Wochen besser, bevor das Spiel wieder von vorne anfing.
In der letzten Woche hat er mich drei Mal angerufen, und ich habe ihm drei Mal erklärt, dass ich im Moment zu viel zu tun habe und spontane Termine absolut unmöglich sind und er bitte vernünftig mit Vorlauf einen Termin vereinbaren soll. Drei Mal allein in der letzten Woche! Heute Morgen rief er wieder an, und als ich ablehnte merkte er an, dass er ja jetzt in Urlaub fahre und wie schade und doof das wäre, dass ich keine Zeit mehr für ihn hätte. Da ist bei mir irgendwas gebrochen.
Die nächsten fünf Minuten habe ich ihn angeschrien, dass ich absolut genug von seinem Scheiß hätte, von seinem Disrespekt, seinem Egoismus, seiner Selbstzentriertheit, seiner Ignoranz, und dass Typen wie er der Grund wären, warum ich diese Arbeit irgendwann hinschmeißen würde, und dass er mich nie wieder anrufen solle. Mir ist klar, dass Schreiben nicht die Lösung ist – aber ehrlich gesagt ist es meiner Erfahrung nach so, dass das manchmal das einzige ist, was wirklich ankommt und ernstgenommen wird.
So endet jetzt also eine langjährige, tiefe Verbindung zu einem Stammkunden. Es tut mir nicht mal richtig leid, für mich war durch sein Verhalten echt das Ende meiner Geduld erreicht, und diese Termine haben dadurch häufig mehr Nerven gekostet, als durch den Verdienst aufgewogen wird.